Shaman stand mit hoch aufgerichtetem Kopf am Zaun, als Zoe auf die Koppel zuging. Der große schwarze Mustang schien es immer zu spüren, wenn Zoe sich ihm näherte. Jedenfalls musste sie ihn nie auf der großen Weide suchen, wenn sie mit ihm ausreiten wollte.
„Hallo, mein Süßer.“ Sie öffnete das Tor zur Koppel und begrüßte den Hengst mit einer Umarmung.
Während sie ihren Kopf an den glänzenden Hals des Pferdes schmiegte, sog sie den unverwechselbaren Duft ein, den Shaman verströmte. Der erdige Geruch erinnerte sie an den Frühling. Der leider noch weit entfernt war.
Es war bereits Mitte März, aber die Wiese, auf der die Hengste und Wallache standen, war zu einem großen Teil von Schnee bedeckt. Nachts sanken die Temperaturen immer noch unter minus zwanzig Grad und auch tagsüber bewegten sie sich nicht weit über den Nullpunkt hinaus. Der Winter war lang und hart im Nordwesten Kanadas, wo die Snowfields Academy lag, die Zoe nun schon seit bald zwei Jahren besuchte.
Zumindest war der Schnee in den letzten Wochen ein wenig geschmolzen, sodass man endlich wieder Ausritte in den Wald machen konnte. Und genau das hatte Zoe heute vor.
„Schau mal, was ich dir mitgebracht habe.“ Sie zog den Halsstrick aus der Tasche und zeigte ihn Shaman, der sofort die Ohren spitzte.
Wenn Zoe mit dem Mustang ausritt, zäumte sie ihn nie auf und sattelte ihn auch nicht. Shaman mochte kein Gebiss in seinem Maul und Zoe brauchte weder Trense noch Zügel, um ihn zu lenken. Shaman und sie hatten sich von Anfang an intuitiv verstanden.
Als sie dem Rappen den Halsstrick umlegte, fühlte sie eine sanfte Berührung in ihrem Rücken. Sie drehte sich um und sah Tom, den kleinen Tinker-Hengst, der sich ihr unbemerkt genähert hatte.
Tom gehörte Zoe. Sie hatte ihn vor einem Jahr gekauft, doch sie war zu groß, um ihn zu reiten. Deshalb hatte sie ihn als Reitbeteiligung an eine Mitschülerin vermittelt. Aber leider hatte Evi vor ein paar Wochen die Schule verlassen und war zurück nach Deutschland gegangen. Der Leistungsdruck, der an dem Elite-Reitinternat herrschte, war einfach zu viel für sie gewesen.
„Na, du Halunke!“ Zoe wuschelte Tom durch die Mähne.
Sie hatte wie immer ein schlechtes Gewissen, wenn sie den Tinker sah. Seit Evi weg war, hätte sie sich viel mehr um ihn kümmern müssen. Aber neben der Schule, dem Natural Horsemanship und dem Reitunterricht, den auch die Pferdeflüsterer nehmen mussten, blieb ihr einfach zu wenig Zeit für den kleinen Tinker.
Tom schnaubte und stupste mit der Nase gegen ihre Hosentasche. Sie holte ein Möhrenstück heraus und steckte es ihm zu. Er zerbiss es und wollte sofort Nachschub.
„Hab nichts mehr.“ Zoe klopfte seinen Hals und wollte sich wieder Shaman zuwenden, aber nun bleckte Tom die Zähne und wieherte laut. Dann drängte er seinen schwarz-weiß gefleckten Kopf noch fordernder gegen Zoes Schulter.
„Jetzt reicht’s aber!“ Sie schob ihn entschieden zurück. „Genug, hab ich gesagt.“
Tom kapierte sofort, was Sache war. Er senkte den Kopf und scharrte verlegen mit dem Vorderhuf im Schnee, doch Zoe ging nicht auf die Beschwichtigung ein.
Es wa