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Seit ich eines Abends zusammen mit einer zweitausend Jahre alten Dämonin von zu Hause losgezogen war, konnte ich mein Leben vergessen. Ich war total am Arsch.
Wobei … das hört sich irgendwie endgültig an, und ganz so war es auch wieder nicht. Eher, als würde sich mein Leben nach und nach aufribbeln wie ein alter Pullover, der nicht mehr zu retten ist. Man kann nur noch zuschauen, wie das blöde Loch immer größer wird.
Dabei hatte es genug Warnzeichen gegeben. Zu meiner Verteidigung kann ich nur sagen, dass ich zu beschäftigt gewesen war, um auf sie zu achten. Dir wäre es genauso gegangen, wenn du die letzten drei Monate plus zwei Tage und sechzehn Stunden in ranzigen Motels verbracht, dich von pappigen Burgern und matschigen Pommes ernährt und Iktans fauligen Dämonenatem ertragen hättest. Dämonen putzen ihr mörderisches Gebiss nämlich nicht, und zweitausend Jahre ohne Colgate sind eine lange Zeit!
Und als wäre das nicht alles schon schlimm genug, hatte mir meine Mutter auch noch verkündet, ich hätte trotzdem Hausaufgaben zu machen, Gottgeborener hin oder her. Also hockte ich außerdem noch stundenlang über meinem iPad (ich bekam ja inzwischen Online-Unterricht). Dabei drehte ich mich öfter um, als ich gern zugebe. Ich rechnete jederzeit damit, dass sich Camazotz (alias Mister Fledermausgott) aus einer schwarzen Nebelsäule materialisieren und mir mit seinen Furcht einflößenden Krallen den Kopf abreißen würde. Wetten, er dachte seit der Schlacht auf dem Schrottplatz an nichts anderes mehr?
Soll heißen, ich wollte nur noch nach Hause. Auf die Insel Holbox, wo es Meer, Sonne und Sicherheit gab. Zum Glück stand meine Rückkehr kurz bevor, ich war praktisch schon dort. Heute Nacht hatte Iktan nämlich den allerletzten Gottgeborenen aufgespürt, Nummer 64.
So hatte die Nacht angefangen:
Ich war mit dem Kopf voran in einer dunklen Gasse aufgeschlagen. Überall lagen leere Dosen und Fast-Food-Verpackungen, ein altes Sofa würgte seine Polsterung aus.
»Herrgott noch mal«, hatte ich Ik angeschnauzt, »können wir nichteinmal eine Pforte nehmen, die mich nicht durch die Luft wirbelt und die nicht nach Tod und Verwesung stinkt?«
Heute Nacht hatte sich die Dämonin für die Gestalt eines elf Jahre alten Menschenmädchens mit zahnlückigem Grinsen und rotbraunen Zöpfen entschieden. Sie trug einen Jeansoverall und darunter eine Bluse mit kleinen roten Herzen drauf. Mich konnte sie damit allerdings nicht täuschen.
Das grüne Neonschild an der Mauer über uns tauchte das Mädchen in fahles Licht. Wenn ich genau hinschaute, sah ich unter der falschen Menschenhaut die blaue Dämonenhaut schimmern. Iktan wechselte ihre Erscheinungsform so mühelos wie andere Leute eine Maske, immer auf der Suche nach einer Tarnung, bei der es sie nicht überall juckte wie verrückt. Was von vornherein zum Scheitern verurteilt war, weil sie gegen Menschenfleisch allergisch war. Der Vorteil daran? Sie fraß keine Menschen.
»Verwesungsgeruch ist harmlos«, sagte sie und kratzte sich das Grübchenkinn. »Aber Menschenhaut juckt wie giftiger Efeu. Bescheuerte Erfindung.«
»Meinst du Menschenhaut oder giftiger Efeu?« Genau genommen war weder das eine noch das andere eine Erfindung, aber ich hatte gerade keine Lust, mich mit ihr zu streiten.
»Beides!«, knurrte sie.
Egal. Ich würde mir die Laune nicht verderben lassen. Wenn alles glatt lief, war ich Kratze-Ik und ihre müffelnden Strudelpforten in wenigen Stunden ein für alle Mal los. Ich zog mich an Fuego, meinem Stock/Speer, hoch und kam auf die Füße. Weil ich mit einem zu kurzen Bein zur Welt gekommen bin, hinke ich, aber wenn ich mal rennen muss, hilft mir mein Stock dabei. Zum Beispiel, wenn ich von einem blutrünstigen Monster verfolgt werde oder so. Und wenn ich mich gegen besagtes Monster verteidigen muss, verwandelt sich Fuego praktischerweise in einen Speer. Er ist ein Geschenk von meinem Vater, dem