[13]Urbanitas: auf raffinierte Weise bodenständig sein
Die großen Städte des Reiches nennen wir im Plural natürlich gerneurbes, aber wenn jemand sagt »Ich reise morgen in dieurbs«, dann kann er eigentlich nur eine meinen: die Weltstadt, das Haupt und die Krone aller Städte, das ewige Rom. Und wie es nureine wahreurbs gibt, gibt es auch nureine ideale Verhaltensweise im Umgang mit Freunden und besonders mit den nur locker Bekannten: dieurbanitas, das weltstädtische Denken.
Bei den Vornehmen und Gebildeten ist dieurbanitas besonders daheim – aber sie strahlt auf ihre Weise ins ganze Rom aus. Sogar die dreckigsten Schimpfwörter in den Armenvierteln erscheinen einem irgendwie feinsinniger als anderswo. Das Ideal derurbanitas ist nicht so alt wie viele andere Traditionen. Es ist ein Kind der unruhigen Zeiten vor der Wiederherstellung der Republik durch unseren ersten Kaiser – dessen treue Anhänger aus Literatur und[14]öffentlichem Leben ihm den letzten Schliff gegeben haben, nachdem die mit scharfer Klinge redenden (und manchmal auch zuschlagenden) Größen der Bürgerkriegszeit die Vorarbeit geleistet hatten. Die spitzeste Zunge Roms gehörte damals Cicero – von dem man bekanntlich sagt, er habe lieber einen Freund verprellt, als sich eine ironische Bemerkung zu verkneifen –, aber auch sonst standen die Redner damals vor dem interessanten Dilemma, dass sie sich mit Bekannten vertragen mussten, denen sie (wenn sie um ein Amt konkurrierten) in ihren Ansprachen Inzest mit der eigenen Schwester, kindliche Grausamkeit gegenüber Tieren und finanzielle Unsolidität vorgeworfen hatten. Oft genug setzte sich dieser Krieg nach dem Ende der Rede fort und Beleidigungen wurden blutig gerächt. Ciceros Kopf endete beispielsweise getrennt von seinem Körper, wie Sie wissen, und um die Zunge kümmerte sich Fulvia, die Frau seines letzten politischen Feindes Marcus Antonius, die ihre Portion an Ciceros Bosheiten abbekommen hatte. Er stichelte sie mit Zweideutigkeiten, sie stichelte sein totes Fleisch mit ihren Haarnadeln. So wird zumindest erzählt.
Wie viele Zehntausende sind damals gestorben, welche Vermögen verloren gegangen, wie viele Familien haben sich in kleine Kriegsgebiete voller Todfeinde verwandelt! Dieurbanitas ist, wenn Sie so möchten, ein Kind dieser schrecklichen Erfahrungen. Nach fünfzig Jahren Bürgerkrieg mit Unterbrechungen und nach insgesamt hundert Jahren bitterer politischer Feindschaften mussten die besten Köpfe Roms, politisch und kulturell, erst einmal lernen, sich zu vertragen – so gut wie jede Familie hatte irgendwann auf irgendeiner Verliererseite gestanden. Denken Sie an die Blütezeit unserer Literatur unter dem[15]Vergöttlichten Augustus und seinen Beratern! Horaz,der Dichter derurbanitas, hat als junger Mann schließlich bei Philippi auf der falschen Seite gekämpft. Unser lateinischer Homer wiederum, Vergil selbst, erwähnt nicht von ungefähr die bedauerlichen, aber politisch gebotenen Massenenteignungen zugunsten der Soldaten des Augustus und seiner unmoralischen Verbündeten; mit den Tausenden unschuldigen Bürgern aller Stände hatte damals auch seine Familie zu leiden. Wen