: Philipp Zitzlsperger
: Philipp Zitzlsperger Das Design-Dilemma zwischen Kunst und Problemlösung
: Hatje Cantz Verlag
: 9783775748865
: Hatje Cantz Text
: 1
: CHF 25.20
:
: Innenarchitektur, Design
: German
: 432
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Das Design-Dilemma gründet auf der Trennungsgeschichte von Design und Kunst seit dem Spätmittelalter. Es beschreibt den Wandel des Designs von einer Kunst- zur Problemlösungsdisziplin. Diese große Divergenz wird einerseits begleitet von Mythen, die Gegensätze von freier Kunst und unfreiem Design, von Aura und Auraverlust oder von Distanz und Berührung konstruieren. Andererseits haben die Avantgarden die Einheit von Kunst und Design vielfach beschworen, die auch Museen oder Marketing heute wieder aufgreifen. Um das Irrlichtern des Designs zwischen Kunst und Nicht-Kunst besser zu verstehen, wird nun erstmals seine 600-jährige Ideengeschichte in den Bereichen der Kunst- und Industriegeschichte sowie der Philosophie des Pragmatismus seit etwa 1900 nachgezeichnet. Besondere Beachtung finden die Ursprungsideen und ihre Überformung durch Technizismus, Kapitalismus, Funktionalismus oder Darwinismus. Sie führen in das Design-Dilemma, das die 'Haltung' seiner Akteure prägt. PHILIPP ZITZLSPERGER (*1965) ist Professor für Kunst- und Designgeschichte und Prodekan für Forschung am Fachbereich Design der Hochschule Fresenius (University of Applied Sciences) sowie Privatdozent am Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin.

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Kunst – vom Kunstgewerbe zum Design


Die Geburtsstunde des Designs, so ist es in Geschichtsbüchern zu lesen, sei das Zeitalter der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Die Maschine sei die Mutter des Designs. Sie gebäre Serien- und Massenprodukte, die für viele das eigentliche Design ausmachten und sich vom Unikat eines Kunstwerks kategorisch unterschieden.44 Doch der Industrialisierungsmythos steht auf tönernen Füßen, denn er übergeht, dass es Design schon immer gab. Zum einen ist die Serie nicht sein einziges Kennzeichen. Jenseits des industriellen Produktdesigns gibt es selbstverständlich das designte Einzelstück aus der Maßschneiderei, dem Innenraumdesign, der Goldschmiede-, Glashütten- oder Schreinerwerkstatt. Folglich ist Design im Unikat ebenso enthalten wie in der seriellen Reproduktion. Zum anderen ist die Serienproduktion kein Alleinstellungsmerkmal der Industrialisierung. Es gab sie auch schon davor. Spätestens seit der Antike sind Serienproduktionen zum Beispiel von Devotionalien, Geschirr oder Gebrauchsgegenständen wie Öllampen bekannt. Frühneuzeitliche Sammlungen waren zahlreich bestückt mit industrieller Serienware wie Kleinskulptur aus Terrakotta, Seidenblumen oder Weihnachtskrippen.45 Und die Gutenberg-Bibel aus der Mitte des 15. Jahrhunderts ist eindrückliches Beispiel für die damals neue Reproduktionstechnik des Buchdrucks. Aus diesem Grund scheint es wenig zielführend, die Design-Geschichte mit der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts beginnen zu lassen, gerade weil die Mechanisierung der seriellen Produktionsabläufe und ihre Maschinen keine Erfindung der Moderne sind. Deshalb spricht man beispielsweise auch von der „industriellen Revolution des Mittelalters“.46 Ihr quantitativer Unterschied zum Maschinenzeitalter der Moderne bleibt unbenommen. Dennoch: Die ästhetischen Eigenheiten des Designs zwischen Unikat und Serie sind so alt wie die Kulturgeschichte der Menschheit. Design gab es schon vor der Moderne, nur gab es da noch keine Unterscheidung zwischen Design und Kunst. Der Design-Begriff ist eine britische Erfindung des 19. Jahrhunderts. Geschichtlich betrachtet ist Design folglich aus der Kunst hervorgegangen, nicht aus der Industrie. Anfangs war es Teil der Kunst, und im Laufe der großen Divergenz sonderte es sich ab beziehungsweise wurde abgesondert, bis der Zustand der Design-Kunst-Dichotomie erreicht war. Die Kunst wanderte ins Museum, das Design in die reine Anwendung. Seitdem huldigt die Gebildetenschicht einer entrückten Kunst, die für die übrige Gesellschaft zum blutleeren Gebilde erstarrt. Das Verlangen der anderen nach Ästhetik außerhalb der Museen richte sich dann leicht auf das Billige und Vulgäre, wie John Dewey 1934 feststellte.47 Nicht selten ist das Billige und Vulgäre gleichgesetzt mit Design, weshalb Dewey versuchte zu zeigen, dass Kunst als Erfahrung die Angewandte Kunst mit einschließt. Das ist Design-Ästhetik, die ihre Konturen erst erhält, wenn sie ins rechte Verhältnis zur Kunstästhetik gesetzt wird. Um dies zu tun, sind im Folgenden ästhetische und institutionelle Ursachen der großen Divergenz zu untersuchen, die teilweise bis weit in die Vormoderne zurückreichen, als man mit der Trennung von Kunst und Handwerk begann, um schließlich das Design von der Kunst zu trennen.

Der Kunstbegriff stand und steht vor allem für das Ideal der Autonomieästhetik als Bollwerk gegen ökonomische, unternehmerische oder funktionalistische Inanspruchnahme des Designs. Kunst galt für das Design in der Moderne seit etwa