Große Hoffnungen und brüchige Koalitionen Industrie, Politik und die schwierige Durchsetzung der Photovoltaik
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Timur Ergen
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Große Hoffnungen und brüchige Koalitionen Industrie, Politik und die schwierige Durchsetzung der Photovoltaik
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Campus Verlag
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9783593432748
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Schriften aus dem MPI für Gesellschaftsforschung
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1
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CHF 38.00
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Politik und Wirtschaft
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German
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343
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Wasserzeichen/DRM
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PC/MAC/eReader/Tablet
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PDF
Die direkte Sonnenenergienutzung hat seit den 1970er-Jahren einen beachtlichen technischen Fortschritt und große Zukunftshoffnungen hervorgebracht. Doch trotz des hohen Mobilisierungspotenzials in Wissenschaft, Politik und Wirtschaft und der daraus resultierenden großzügigen Förderung blieb die Photovoltaik bis Mitte des letzten Jahrzehnts eine Zukunftstechnologie ohne Marktchancen. Timur Ergen zeigt, dass diese Entwicklung auf Probleme sektoraler Ordnung zurückzuführen ist: In Industrie und Politik kam es wiederkehrend zu Umsetzungsproblemen und Konflikten, die verhinderten, dass die Solartechnik effektiv weiterentwickelt und kontinuierlich unterstützt wurde.
Timur Ergen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am MPI für Gesellschaftsforschung in Köln.
Vorwort
Ursprünglich sollte diese Studie herausarbeiten, wie sich die Solarzelle um die Jahrtausendwende ausgerechnet in Deutschland durchsetzen konnte. Für außergewöhnlich viel radikale Innovation, grundlegende industrielle Transformation, politisch-ökonomische Durchlässigkeit und, das ist nun unstrittig, Sonnenschein ist die Bundesrepublik ja nicht unbedingt bekannt. Je mehr ich mich allerdings mit der Geschichte der Photovoltaik beschäftigte, desto mehr gelangte ich zu der Überzeugung, dass ihre sozialwissenschaftlich interessanten Aspekte nicht so sehr in ihrem plötzlichen Durchbruch, sondern vielmehr in den langfristigen Verlaufsmustern ihrer Entwicklung liegen. Geht man in ihr weit genug zurück, lassen sich aus der Geschichte der Photovoltaik viele allgemeine Lehren ziehen. Sie erlaubt Erkenntnisse zu den Chancen und Grenzen staatlicher Industrieregelung, zur Möglichkeit kontrollierten technologischen Wandels, zur Dynamik industrieller Organisation und letztlich zur Fähigkeit demokratisch-kapitalistischer Gesellschaften, auf wichtige Probleme unserer Zeit konzertiert zu reagieren.
Selektive historische Betrachtungen mit konzeptuellen Überlegungen zu vermischen ist riskant. Dem historisch informierten Experten könnte mein Buch unvollständig, ja unausgewogen erscheinen, dem Sozialwissenschaftler hingegen übermäßig deskriptiv und wenig streng. Historisch finden sich in ihm zahlreiche beabsichtigte und wahrscheinlich noch zahlreichere unbeabsichtigte blinde Flecken. Konzeptuell schöpft meine Studie aus der detaillierten Untersuchung eines einzelnen Falls über die Zeit - einen kontrollierten Vergleich oder gar ein formales Modell findet man in ihr nicht. Ich hoffe, dass es anders kommt und sich diese Vorgehensweise als Stärke, nicht als Schwäche meines Buchs erweisen wird. Der Historiografie der modernen Sonnenenergienutzung kann meine Untersuchung systematische konzeptuelle Denkanstöße vorschlagen. Dem systematischen Wissen zur sozioökonomischen Organisation soll sie bestimmte Typen von Sequenzen vorführen, die in strengen sozialwissenschaftlichen Modellen nicht vorkommen sollten.
Das vorliegende Buch basiert auf einer gekürzten und überarbeiteten Fassung meiner Anfang 2014 an der Universität zu Köln eingereichten Dissertation. Sie ist im Rahmen meines Promotionsstudiums an der International Max Planck Research School on the Social and Political Constitution of the Economy (IMPRS-SPCE) am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung (MPIfG) in Köln entstanden. Ich kann mir kein intellektuell produktiveres und besser organisiertes Umfeld für eine Promotion vorstellen.
Ich danke zuallererst Jens Beckert, der meine Promotion auf die denkbar beste Weise betreut hat. Während sich meine Arbeit - auf für mich noch immer nicht ganz durchsichtigen Pfaden - von einer Kartellrechtsstudie zu einer Untersuchung der Photovoltaikindustrie entwickelt hat, hatte ich es seiner Unterstützung, seinen kritischen Anmerkungen und seinen Ideen zu verdanken, nicht ein Mal ernsthaft an dem Vorhaben gezweifelt zu haben. Wolfgang Streeck will ich insbesondere dafür danken, dass er mich - leider nur in Teilen erfolgreich - davor bewahrt hat, in der Faszination für meinen Einzelfall zu versinken. Bis in die Verteidigung meiner Dissertation hat er mir dabei geholfen, Transfers herzustellen und sie klar zu formulieren. Kathleen Thelen danke ich für eine äußerst lehrreiche Zeit am Massachusetts Institute for Technology. Wirklich Form angenommen hat meine Studie erst durch lehrreiche Gespräche, Kurse und Workshops in Cambridge. Sigrid Quack und Mark Ebers haben mir über die Jahre mehrmals großzügig bei der Gestaltung des Projekts und bei der Einordnung seiner Ergebnisse geholfen. Beim Verständnis der Entwicklung der Photovoltaik hatte ich die Unterstützung sehr großzügiger Interviewund Gesprächspartner.
Am MPIfG konnte ich über die letzten fünf Jahre mit großartigen Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten. Besonders hervorheben will ich Elena Bogdanova, Arne Dressler, Lea Elsässer, Susanne Hilbring, Jürgen Lautwein, Ariane Leendertz, Ronen Mandelkern, Sascha Münnich, Inga Rademacher, Isabella Reichert, Christel Schommertz und André Vereta Nahoum sowie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Forschungsgruppe Soziologie der Märkte, des IMPRS-SPCE-Kolloquiums und der Max Planck Summer Conference on Economy and Society 2013 in Florenz. Ich kann nicht genug betonen, wie viel meine Arbeit vom Austausch mit meinem Jahrgang in der IMPRS profitiert hat. Während der gesamten Zeit, von den ersten gemeinsamen Seminaren über abendliche Krisensitzungen bis hinein in die Schreibphase, haben mir Sarah Berens, Barbara Fulda, Lukas Haffert, Sebastian Kohl, Daniel Mertens und Gregor Zons sehr geholfen. Dafür danke ich ihnen herzlich. Thomas Pott hat das Manuskript mit beeindruckender Präzision und Geduld durchgesehen und verbessert - die sicher verbliebenen Unzulänglichkeiten habe ich zu verantworten. Widmen will ich das Buch meinen Eltern und meiner Frau Diana. Vermutlich ohne es bemerkt zu haben, hatten sie einen wesentlichen Anteil daran, dass es entstanden ist.
Köln, im September 2015 Timur Ergen
Kapitel 1
Entwicklungsprobleme einer fu?nfzigja?hrigen Zukunftsindustrie
Die direkte Nutzbarmachung der Sonnenenergie gehört zu den ältesten Tagträumenmoderner Industriegesellschaften. Je nach historischer Episode versprach sie die Unabhängigkeit von erschöpflichen Brennstoffen, die landwirtschaftliche Nutzbarmachung 'des Südens', die Verminderung von Rohstoffimporten, die Lossagung von der Atomkraft, die Ausbremsung des anthropogenen Klimawandels, Millionen neuer Green-Collar-Arbeitsplätze oder gleich die Demokratisierung und Dezentralisierung fortgeschrittener kapitalistischer Gesellschaftsordnungen. Nur wenige Technologien haben über mehr als ein Jahrhundert derart viele gesellschaftliche Gruppen für sich begeistern können und sind dennoch nicht gesellschaftliche Wirklichkeit geworden. Joachim Radkau (2008: 467) vermutet, das habe viel damit zu tun, dass 'von der Solarenergie unendlich viel mehr geredet' wurde, 'als effektiv für sie geschah'. Ganz falsch ist Radkaus Einschätzung nicht, vor allem mit Blick auf die Zeit vor den 1970er-Jahren. In Teilen erinnern die unnachgiebigen Beschwörungen der Potenziale der direkten Sonnenenergienutzung an eine beschwichtigende Erzählung, nach der kapitalistische Gesellschaften nicht untergehen, wenn der 'letzte Zentner fossilen Brennstoffs verglüht ist' (Weber [1904/1905]1988: 203). Teilweise jedoch sind Radkaus Maßstäbe als Historiker der Kernenergie verzerrt. Für die Resilienz, Ausgabenfreudigkeit und Rückschlagsignoranz, die Regierungen weltweit in der politischen und energiewirtschaftlichen Durchsetzung der Kernenergienutzung zeigten, gibt es in der Geschichte der Technik äußerst wenige ebenbürtige Vergleichsfälle. Die Geschichte gescheiterter Versuche, der Sonnenenergienutzung zum Durchbruch zu verhelfen, ist beinahe so lang wie die des Diskurses über ihre Potenziale. Zwar waren die seit den 1970er-Jahren aufgelegten Programme zu ihrer Förderung mehr als bloße Symbolpolitik, geholfen hat das der Technik dennoch nicht.
Gerhard Mener (2001) klingt in seiner umfassenden Geschichte der Solarenergienutzung bis in die späten 1980er-Jahre etwas ratlos und macht vielfältige Übertragungsprobleme 'vom Labor in den Markt' dafür verantwortlich, dass die Solarenergienutzung zu einer einhundertfünfzigjährigen Zukunftstechnologie wurde. Es ist hier nicht meine Absicht, die Geschichte der Sonnenenergienutzung grundlegend umzuschreiben. Im Kern soll meine Studie Meners Diagnose fortschreiben, zuspitzen, sozioökonomisch spezifizieren und für die sozialwissenschaftliche Diskussion der Organisation von Industrien fruchtbar machen. Die alte Hoffnung auf die Sonnenenergienutzung zur breitflächigen Energieversorgung von Industriegesellschaften wurde erst in den 1990er-Jahren langsam Realität. In einer größtenteils hektischen internationalen Kaskade grüner Energie- und Industriepolitik brachen sich staatliche Fördermaßnahmen für den Einsatz der Technologien Bahn, wie sie ihre Unterstützer seit Jahrzehnten herbeisehnten. Durch einen bemerkenswerten Kippprozess entwickelten sich im 21. Jahrhundert um die zuvor zumeist belächelten Zukunftstechnologien ernst zu nehmende energiepolitische Programme sowie scharf umkämpfte Industrien.
In vielerlei Hinsicht markieren die 2000er-Jahre die Entkopplung der Solarenergie von ihren alten Unterstützerkoalitionen. Wie so viele gesellschaftliche Bewegungen löste sich die Unterstützung der Solarenergie von ihren glaubensbasierten und idealistischen Trägern und wurde 'veralltäglicht' und institutionalisiert. Schon zur Mitte des Jahrzehnts existierte so gut wie keine fortgeschrittene Gesellschaft mehr, die nicht auf irgendeine Weise die Förderung regenerativer Energietechnologien und assoziierter Industrien betrieb. Versatzstücke des noch in den 1990er-Jahren vornehmlich in progressiven und ökologischen Wahlprogrammen zu findenden Leitbilds einer Versöhnung von demokratischen, ökologischen und wirtschaftlichen Zielen im Einsatz für die neuen Umwelttechnologien gelangten auf verschlungenen Wegen in die Geschäftspläne multinationaler Konzerne, in die Regierungsprogramme konservativer Parteien und in die Pressemitteilungen von Energiekonzernen.
Weder die neuen Leitbilder noch die neuen Technologien um eine Art grünen New Deal sind Erfindungen der 1990er-Jahre. Ihre Entwicklung verdichtete sich stückweise, gewissermaßen in einem fortwährenden soziologischen Patchwork in der Auseinandersetzung mit modernen kapitalistischen Gesellschaften. Der wesentliche Gegenstand meiner Studie ist die historisch-soziologische Rekonstruktion genau dieses Prozesses in der Geschichte der Photovoltaik. Teils angefacht durch gesellschaftliche Krisen, teils als Auswuchs inkrementell entstandener Problemwahrnehmungen versprach die Solarenergie technische Ausflüchte aus Steuerungsproblemen, technischen Schutz vor Nebenfolgen und technischen Antrieb für die Entwicklung kapitalistischer Gesellschaften.
Meine Studie weicht in der Rekonstruktion dieses Prozesses in einem wichtigen Punkt vom Forschungsstand zur Geschichte der Photovoltaik ab. Angesichts ihrer langjährigen energiepolitischen Randständigkeit und der Geschwindigkeit, mit der Industrien für Photovoltaikkomponenten im Wechselspiel mit der Hochkonjunktur ökologischer Energiepolitik angewachsen sind, ist das ältere Bild der vornehmlich symbolischen Realität der Solarenergie einer neuen Einordnung ihrer Entwicklungsgeschichte gewichen. Die Geschichte der Photovoltaik soll eine Geschichte soziotechnischer Pfadkreation und kontinuierlich anwachsender advocacy coalitions sein. Während einer fünfzigjährigen Nischenexistenz, so die Idee, entwickelten interessierte Akteure politische, ökonomische, personelle und technische Schlagkraft, die sie in die Lage versetzte, die Photovoltaik mithilfe öffentlicher Förderprogramme allmählich in die Energieversorgung zu heben. Das brachte ihnen zusätzliche politische Unterstützung, zusätzliche Ressourcen und wiederum zusätzliche technische Entwicklungsmöglichkeiten ein (einflussreich: Jacobsson/Lauber 2005). Die Photovoltaik, so lässt sich die neue Nischenforschung treffend zuspitzen, wurde in einem langsamen - aber geradlinigen - Prozess geschützt entwickelt, in dessen Verlauf interessierte Akteure zunehmend Ressourcen sammelten, um sich gegen etablierte Technologien und etablierte politisch-ökonomische Koalitionen durchsetzen zu können.
Die neuere Forschungsliteratur zur Entwicklung regenerativer Energien, deren Narrativ ich im nächsten Abschnitt ausführlicher darstelle, überspielt einerseits die lange Geschichte aus Diskontinuitäten in der Durchsetzung der Technologie und andererseits die fortwährenden internen Organisationsprobleme, an denen die enorm heterogenen Unterstützungskoalitionen der Kommerzialisierung der Photovoltaik immer wieder scheiterten. Sicherlich, und insoweit ist die Beschreibung der Nischentheoretiker durchaus richtig, der Photovoltaik ergeht es seit den 1950er-Jahren wie allen neuen grünen Energietechnologien. Mit einem überraschenden Grad an Beharrlichkeit und von immer neuen Problemwahrnehmungen motiviert versuchen Aktivisten, Forschungsorganisationen, Regierungen und eine angesichts der energiewirtschaftlichen Bedeutungslosigkeit der Photovoltaik beeindruckende Zahl an Unternehmen seit dem Jahr 1954, die Technologie so weit zu stützen, dass sich ihre Versprechen erfüllen, was ihnen schließlich gelang. Und sicherlich arbeiteten sie dabei strukturell aus der Randständigkeit gegen den Widerstand etablierter soziotechnischer Pfadabhängigkeiten und politisch-ökonomischer Koalitionen. Die Durchsetzung der Photovoltaik, und genau hier liegt das vornehmliche systematische Interesse meiner Studie, scheiterte aber wiederholt nicht an technischen Rückschlägen, dem unzureichenden Willen zu ihrer Unterstützung, fehlenden Interessen an ihrer Durchsetzung, schwachen Unterstützungskoalitionen oder externen Hindernissen, sondern an den Problemen, die Akteure mit prinzipiell gleichgerichteten Interessen am Aufbau und der Stabilisierung der Industrie hatten. Mehr noch, zum Teil lässt sich sowohl für ihre Geschichte in den 1970er- und 1980er-Jahren als auch für ihre Entwicklung nach dem Jahr 2008 zeigen, dass die Entstehung handfester ökonomischer und politischer Interessen an der Entwicklung der Photovoltaikindustrie das Gesamtprojekt ihrer Stabilisierung schwächte, anstatt es zu stärken.
In chronologischer Abfolge untersuche ich vier Episoden der Entwicklung der Photovoltaikindustrie, ihr Schicksal in US-amerikanischen Weltraumprogrammen seit den 1950er-Jahren, ihre verstärkte Förderung und Rückführung in die Energieforschung im Krisenjahrzehnt der 1970er-Jahre in Deutschland und den USA, ihre konzertierte Industrialisierung, energiepolitische Wiederentdeckung und Aufnahme in internationale technologiepolitische Investitionsrennen seit Anfang der 1990er-Jahre in Deutschland, Japan und den USA und ihre eigentümliche Mehrfachkrise aus schwindender politischer Unterstützung, brancheninternen Grabenkämpfen und einer verfallenden Industrie in Deutschland seit dem Jahr 2008. Ziel der Untersuchung ist eine einfache empirische Kritik an der sozialwissenschaftlichen Forschung zur Entwicklung der Photovoltaikindustrie und, darauf aufbauend, eine einfache konzeptuelle Kritik sozioökonomischer Theorien industrieller Organisation. Seit den 1970er-Jahren zeigt sich, wie die Industrie und ihre Unterstützer sich bei jedem Industrialisierungsanlauf selbst blockieren, wie Koalitionen zur Durchsetzung der Technologie mit Förderanläufen zerfasern und wie sich der Sektor in ein kollektives Handlungsproblem nach dem nächsten verstrickt. Die Ausblendung eben dieser Typen industrieller Organisations- und kollektiver Handlungsprobleme über die Zeit bemängele ich in populären Theorien industrieller Organisation.
1.1 Die Standardgeschichte: Nischenaufbau und Pfadkreation
Mit Ausnahme von drei wirtschaftssoziologischen Arbeiten zur Marktformierung (siehe Dewald 2011; Fuchs et al. 2012; Möllering 2007) ist der Aufstieg der Photovoltaik aus ihrer langja?hrigen Randsta?ndigkeit in erster Linie in Politikwissenschaft und Betriebswirtschaft und in der sozialwissenschaftlichen Technikforschung untersucht worden (siehe Bruns/Ohlhorst/Wenzel 2009; Dagger 2009; Hirschl 2008; Jacobsson/Lauber 2005; Jacobsson/Sandén/Bångens 2006; Margolis 2002; Mautz/Byzio/Rosenbaum 2008; Mautz/Rosenbaum 2012; Suck 2008). Die Aussagen dieser Arbeiten lassen sich in einer Standardgeschichte technisch-industrieller Entwicklung von der Erfindung in die Nische zum selbsttragenden Wachstum zusammenfassen. Zwischen 1941, dem Jahr der erstmaligen Entwicklung der Siliziumphotovoltaikzelle im Umfeld von AT&Ts Bell Labs, und den spa?ten 1990er-Jahren waren fu?nfzig Jahre privater, öffentlicher und zivilgesellschaftlicher Förderung notwendig, um die technischen und gesellschaftlichen Grundlagen fu?r eine 'selbsttragende Industriedynamik' zu schaffen.
Je nach Disziplin fassen Studien zur Entwicklung der Photovoltaik diese fu?nfzigja?hrige Förderperiode mit dem Konzept der Nische (Bruns/Ohlhorst/Wenzel 2009: 263-264; Dewald 2011: 247; Hirschl 2008: 19; Mautz 2007: 116; Mautz/Byzio/Rosenbaum 2008: 22-23; Wu?stenhagen 2000), des protected oder sheltered space (Jacobsson/Lauber 2006: 271; Jacobsson/Sandén/Bångens 2006: 24) oder eines nursing market (Jacobsson/Lauber 2005: 124-126). Wurde die Photovoltaik bis in die 1970er-Jahre vor allem in US-amerikanischen Satellitenprogrammen entwickelt, fu?hrten die Ölkrisen zu einer grundsa?tzlichen Problematisierung der Energieversorgung entwickelter Industriegesellschaften und zu ernsthafteren Ansa?tzen öffentlich-privater Mischförderung der Photovoltaiknutzung auf der Erde, insbesondere, aber keinesfalls ausschließlich, in Deutschland, Japan und den USA. Kein Land förderte die Technik im Nachhall der Ölkrisen so ernsthaft wie die USA, in erster Linie unter den Regierungen Gerald Fords und Jimmy Carters. Nicht nur wandten die USA in den 1970er-Jahren enorme Mittel auf, um die Forschung an der Technik zu forcieren: Noch wa?hrend der Ölkrisen initiierten sie koordinierte Industrialisierungsprogramme und schon gegen Ende des Jahrzehnts Markteinfu?hrungs- und größere Demonstrationsprogramme. Neben unterschiedlichen Einscha?tzungen zum bloß technologischen Realismus der amerikanischen Initiativen sind sich Arbeiten zur Entwicklung der Photovoltaik in einem einig: Die Regierungsu?bernahme Ronald Reagans 1981 setzte der fru?hen amerikanischen gru?nen Energietechnologiepolitik ein ja?hes Ende, bevor sie richtig begonnen hatte, und dra?ngte die Branche zuru?ck in die energiepolitische Bedeutungslosigkeit und die Grundlagenforschung (Jacobsson/Sandén/Bångens 2006: 11-12; Laird/Stefes 2009: 2621; Margolis 2002: 73-74). In technischer Hinsicht sind viele grundlegende Konzepte, die bis heute eine Rolle spielen, Ende der 1970er-Jahre entwickelt worden (wenn auch nicht immer verstanden). Auch wurde ein Großteil der bis heute wesentlichen Verba?nde und Forschungsstellen Ende der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre gegru?ndet. Seit den fru?hen 1970er-Jahren hat sich eine beeindruckende Anzahl des internationalen Who's who technologieorientierter Unternehmen, von der Elektronik- u?ber die Öl- und Chemie- bis zur Schwerindustrie, am großen Wurf mit der Photovoltaik versucht (Mener 2001: 417-479). Und nachdem zwischen den spa?ten 1970er- und fru?hen 1990er-Jahren auch jede mögliche terrestrische Anwendungsform, von der netzgekoppelten Aufdachanlage bis zum netzfernen Photovoltaikkraftwerk, in öffentlich finanzierten und kollektiv evaluierten Demonstrations- und Pilotprogrammen getestet worden war, gab es Mitte der 1990er-Jahre kaum noch eine Unbekannte fu?r den Einsatz der Photovoltaik in der Elektrizita?tsversorgung auf der Erde. Mit der technischen Entwicklung ging eine Vernetzung und Verbreiterung einer sozialen Bewegungsbasis aus administrativen, industriellen, politischen, wissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren zur Förderung der Photovoltaik einher. Sowohl in den einzelnen Nationalstaaten als auch auf transnationaler Ebene waren bis Mitte der 1990er-Jahre alle relevanten Elitennetzwerke, Initiativen und Verba?nde gegru?ndet und verwachsen.
Auch wenn hier konzeptuell regelma?ßig viel durcheinandergeworfen wird, geht es bei der Beschreibung dieser Entwicklung als Nischenbildungsprozess einerseits um den Punkt, dass die öffentliche, private und zivilgesellschaftliche Technikförderung eine Art Schutzraum einer 'Innovation vor den selegierenden Effekten des freien Marktes' schafft (Braun-Thu?rmann 2005: 46, nach Mautz/Byzio/Rosenbaum 2008: 22); andererseits darum, herauszuarbeiten, wie sozio- technische Pfadabha?ngigkeiten durch eine Art institutionelles layering ausgehebelt werden (Garud/Karnøe 2001; Streeck/Thelen 2005: 22-24). Damit verbunden geht man davon aus, dass Erfolgschancen verschiedener Technologien und mit ihnen befasster Industrien in diesen Nischenphasen distinkten Regeln folgen, die mit der Selektion nach bloßer ökonomischer oder technischer Effizienz wenig zu tun haben. Vielmehr geht es in Fru?hphasen technologisch-industrieller Entwicklung darum, Erwartungen in und Versprechen u?ber die zuku?nftigen Potenziale einer Industrie in den verschiedensten Feldern zu fördern und, noch wichtiger, im Angesicht permanenter Ernu?chterung lebendig zu halten (Mautz 2007: 117), die Kooperation relevanter Akteure sicherzustellen (Jacobsson/Sandén/Bångens 2006) und eine auf gewisse Weise fehlschlagsignorante soziale Bewegungsdynamik in Gesellschaft, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft um den Aufbau einer Industrie loszutreten (Möllering 2007: 26; Mu?tzel 2011; Radkau 1978: 204).
Diese Bewegungsdynamik verlagerte sich in den 1990er-Jahren in Deutschland größtenteils von der Zell- und Modulindustrie auf die regionale und die Anwenderebene. 1991 initiierte man ein erstes größeres Demonstrationsprogramm in Deutschland, das - anders als vorherige Programme (Dewald 2011: 170) - auf die technische, ökonomische und soziologische Evaluation kleiner netzgekoppelter Aufdachanlagen ausgelegt war. Auch wenn dieses sogenannte 1.000-Da?cher-Programm keine bedeutenden Entwicklungen in der Zell- und Modulindustrie anregte (es wurden bis 1995 ungefa?hr 1.930 Anlagen gefördert), darf es nicht in seiner Wirkung unterscha?tzt werden, die lokal fragmentierte - und fu?r die spa?tere Entwicklung der Photovoltaik in Deutschland zentrale (Dewald 2011; Dewald/Truffer 2012) - soziale Bewegung aus Aktivisten, Handwerkern, umwelttechnisch engagierten Installateuren (oft sogenannten Solarteuren) und Solarinitiativen bundespolitisch anzuerkennen und gewissermaßen praktisch aufzuwiegeln. Hauptsa?chlich aus diesen Bewegungen entwickelten sich zwischen 1995 und 1999 zahlreiche durch Kirchengemeinden, Stadtwerke, verschiedenste kommunale Tra?ger und Energieversorger gestu?tzte Initiativen fu?r die Photovoltaikförderung (Dewald 2011: 204-242).
Nach dem Auslaufen des 1.000-Da?cher-Programms entstand in Deutschland fu?r vier Jahre keine weitere gesondert auf die Photovoltaik zugeschnittene öffentliche Förderung. Und noch 1995 warnte man im Deutschen Bundestag vor einem schwerwiegenden industriellen 'Fadenriss' (ebd.: 160). Die zentralen Akteure der deutschen Solarindustrie wanderten in den fru?hen 1990er-Jahren in die USA ab, a
Das alles, so die u?bliche Erza?hlung, a?nderte sich 1998 mit der Regierungsu?bernahme durch die SPD und Bu?ndnis 90/Die Gru?nen. Dieser bundespolitische Wendepunkt wird re
Über die spa?teren Revisionsrunden des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (2004 und 2009) wurde beinahe so viel geforscht wie u?ber dessen Initiierung, und im Rahmen der alten cleavages - konservative und wirtschaftsliberale politische Kra?fte, Energieversorger und Industrieverba?nde versuchten, ihre Förderung zu bremsen; Progressive, Gru?ne, die Industrie selbst und Aktivisten verteidigten die Photovoltaikförderung - scheint die Entwicklung der Industrie seit 2001 selbstlaufend. Anders gesagt, nachdem die Industrie in ihrer Nische die Strukturen aufgebaut hatte, die ihr schließlich Einfluss auf die institutionelle Rahmensetzung ermöglichten, und das technische Erfahrungswissen sammeln konnte, das ihr die Aufru?stung im Angesicht des EEG erlaubte, verlief ihre Entwicklung pfadbeständig. Jacobsson und Lauber (2006: 272) etwa
1.2 Spielarten des policy feedback
Auf einer sehr allgemeinen Ebene dru?cken Pfadabha?ngigkeit
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