Die Geschichte hat immer Recht Die Völkische Bewegung im Spiegel ihrer Geschichtsbilder
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Julian Köck
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Die Geschichte hat immer Recht Die Völkische Bewegung im Spiegel ihrer Geschichtsbilder
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Campus Verlag
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9783593432533
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Campus Historische Studien
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1
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CHF 54.40
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Kulturgeschichte
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German
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505
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Wasserzeichen/DRM
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PC/MAC/eReader/Tablet
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PDF
Auf welcher Grundlage stand die völkische Ideologie, die spätestens seit dem Ersten Weltkrieg großen Einfluss auf die Mitte der deutschen Gesellschaft nahm? Julian Köck korrigiert die bisherige Forschungsmeinung: Nicht auf die Rassenlehre oder den Antisemitismus stützte sich die Völkische Bewegung in erster Linie. Vielmehr waren es einheitsstiftende Geschichtsbilder - etwa die Begeisterung für das antike Griechenland -, die es den Völkischen ermöglichten, die heterogenen Elemente ihrer Weltanschauung zu überbrücken. Dabei ging es nicht darum, eine vergangene Zeit wiederauferstehen zu lassen, sondern die »ewigen Werte in der Geschichte« zu bestimmen und in ein Programm für die Zukunft umzuwandeln.
Julian Köck studierte Geschichte und Philosophie und promovierte an der Universität Bern.
Vorwort
Vorliegendes Buch stellt die gekürzte und leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertationsschrift dar, die im Herbst 2014 an der Universität Bern angenommen worden ist. Mein Dank gilt meinen Betreuern Stefan Rebenich und Uwe Puschner, die außerordentlich großes Engagement bei der Betreuung gezeigt haben.
Bei der oftmals schwierigen Quellen- und Literaturbeschaffung durfte ich auf die Hilfe von Annika Bohrdt, Christine Buch, Oliver Engl, Alexandra Esche, Benjamin Hasselhorn, Barbara Kriehn, Diana Kotte, Julia Köck, Holger Müller, Matthias Steinbach, Susanna Olga Werger und Gesina Zöller zählen. Besonders verpflichtet bin ich Gregor Hufenreuther, der mir Einblick in seine umfangreiche Quellensammlung zum Deutschbund gewährte.
Für hilfreiche Gespräche und Anregungen habe ich mich bei Christian Gerlach, Sven Mau, Jan Rodis, Jasmin Welte, Ingo Wiwjorra sowie den Teilnehmern des Althistorischen Kolloquium der Universität Bern zu bedanken. Wichtige Gedanken und Anregungen verdanke ich darüber hinaus meinen Dozenten aus der Mannheimer Zeit: Angela Borgstedt, Rosmarie Günther, Wilhelm Kreutz, Erich Pelzer und Peter Steinbach.
Barbara Kriehn und Gunnar Danckert sei für das unermüdliche Kor-rekturlesen des Manuskriptes gedankt. Bei der Studienstiftung des deut-schen Volkes habe ich mich für die Gewährung des Promotionssti-pendiums zu bedanken. Von Seiten des Campus-Verlags möchte ich mich bei Jürgen Hotz und Cornelia Stratthaus für ihre freundliche Unterstützung bedanken.
Last, not least gilt meiner Familie und meinen Freunden Dank, die mich geduldig auf dem Weg zur Promotion hin begleitet und unterstützt haben. Ihnen sei diese Arbeit gewidmet.
Julian Köck
Einleitung
'In ferner Zeit [...], wenn die Menschheit etwas weiter fortgeschritten ist als heute, wird man sicherlich mit grenzenlosem Erstaunen von der Existenz der im folgenden behandelten Verbände und Organisationen und ihren Anschauungen lesen. Man wird es nicht für möglich halten, daß in dem Deutschland von heute Gedanken und Ziele vertreten wurden, wie sie diesen Organisationen eigen sind.'
So urteilte 1931 Oskar Stillich, der anonyme Verfasser des Deutschvölkischen Katechismus, über die Völkischen. Heute weiß man, dass keine zwei Jahre später die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Sie setzten nicht wenige der völkischen Ziele um, ja übertrafen sie noch an Radikalität. Aus dem Zitat spricht deutlich das Empfinden, es bei den völkischen 'Anschauungen' mit Anachronismen und Skurrilitäten zu tun zu haben. Gut 85 Jahre später ergibt sich ein ähnliches Bild. Bei der Lektüre völkischer Werke drängt sich dem heutigen Leser die Frage auf: Wie konnten solche 'Anschauungen' und Gedanken ernst genommen werden, geschweige denn sich teilweise sogar durchsetzen?
Die Antwort darauf kann nur die systematische Untersuchung der Struktur der Völkischen Bewegung und der Ideenwelt ihrer Führer und Anhänger bieten. Der heutige Historiker ist - mit anderen Worten - dazu angehalten, die Arbeit Stillichs, die 1933 ihr vorzeitiges Ende fand, fort-zusetzen. Es ist nicht ohne eine gewisse Ironie, dass auch die Völkischen selbst einen nicht unbeträchtlichen Teil ihrer regen publizistischen Energie auf die Diskussion verwendeten, was unter 'völkisch' eigentlich zu verstehen sei. Zwar lässt sich die Herkunft des Wortes leicht klären, der Begriff jedoch nahm ein Eigenleben an, das bis heute andauert: So wird er als nahezu identisch mit national- oder neonationalsozialistisch (oder überhaupt rechtsextrem) verwendet, kann aber auch eine spezielle politisch-weltanschauliche Bewegung des späten 19. und des 20. Jahrhunderts, eine besondere Form des Nationalismus oder eine bestimmte Denkfigur bezeichnen. Diese Vieldeutigkeit geht oft einher mit einem hohen Maß an Beliebigkeit, die ihren Ausdruck darin findet, dass oft gar nicht festzustellen ist, was der einzelne Autor unter 'völkisch' versteht. Umso wichtiger ist es, den Begriff klar zu definieren.
Fragestellung und Gegenstand
Die vorliegende Arbeit ist Uwe Puschners 'Plädoyer für einen ?engen? Be-griff' des Völkischen verpflichtet. Als völkisches Gedankengut werden in vorliegender Arbeit die Positionen bezeichnet, die von den circa 100 'Vordenker[n], Führer[n] und Agitatoren' der Völkischen Bewegung vertreten wurden. Die Bewegung lässt sich als eine 'Sammelbewegung' charakterisieren, die nach der Gründung des Kaiserreichs, spätestens aber in den 1890er Jahren, als Reaktion auf die tatsächlichen oder nur empfundenen Verwerfungen der Zeit entstanden ist:
'Die völkische Bewegung war als Reaktion auf die Modernisierung, auf die rasante Industrialisierung und soziale Mobilisierung entstanden, die u. a. einen Bedeutungsverlust traditionellen Bildungsverständnisses, den Abstieg des handwerklichen Mittelstandes und die Entstehung von Massenparteien mit sich brachte.'
Die völkischen Publizisten können 'überwiegend' zum 'altem und neuen Mittelstand' gezählt werden, was ihre Herkunft und ihre Ausbildung anbelangt. Die Bewegung lässt sich mit Stefan Breuer als Trägerin einer 'Mittelstandsideologie' charakterisieren, die um die 'Hypostasierung des holistisch verstandenen Volks' und die Betonung der Ungleichheit der Menschen zu einem 'spezifisch völkischen Rechtsnationalismus' ergänzt wurde. Aufgrund ihres Charakters als 'Protest-, Such- und Alternativbewegung' lassen sich in der Bewegung, die ihre Struktur in erster Linie durch Mehrfachmitgliedschaften in Verbänden und Bünden und das rege Zeitschriftenwesen erhielt, ganz unterschiedliche Interessensschwerpunkte ausmachen. Daher fällt es schwer, die Bewegung auf einen ideologischen Nenner zu bringen. Methodisch wird der Erforschung der Bewegung deswegen nur die Verwendung von verschiedenen 'ideologie-, institutionen-, personen- und kommunikationsgeschichtliche[n] Methoden' gerecht.
Im Unterschied zu den bisher erschienenen Monographien zur Völki-schen Bewegung soll der inhaltliche Schwerpunkt der vorliegenden Unter-suchung auf die völkische Geschichtsideologie gelegt werden. Der Unter-suchung liegt die Hypothese zugrunde, dass die völkische Geschichtsideo-logie die Basis der verschiedenen völkischen Ideologeme und damit den Kern der völkischen Ideologie ausmacht. Die weltanschaulichen und po-litischen Positionen der Völkischen waren nahezu immer historisch be-gründet. Gangolf Hübinger geht deswegen zu Recht davon aus, dass die völkische Ideologie 'von der Kraft ihrer Geschichtsbilder' lebte. Das 19. Jahrhundert war überhaupt ein 'Jahrhundert der Geschichte': Der Geschichtswissenschaft kam eine Leitfunktion zu und den Historikern wurde eine hohe Erklärungskompetenz in politischen Fragen zugesprochen. Während die Geschichtswissenschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihre diesbezügliche Bedeutung zunehmend an die aufstrebenden Naturwissenschaften abgeben musste, integrierten die Völkischen naturwissenschaftliche Überlegungen in ihre Geschichtsbilder, die so, nach Überzeugung der Völkischen, in ihrer Bedeutung noch gestärkt wurden.
Im Folgenden soll dargelegt werden, dass die Beschäftigung der Völkischen mit historischen Themen keineswegs einem rein antiquarischen Interesse diente, sondern der Konstituierung und ständigen Bestätigung der völkischen Spielart des Nationalismus, in deren Mittelpunkt das Volk als eine von anderen Völkern kulturell verschiedene Einheit stand. Der richtige, dem Volk angemessene Staat konnte aus völkischer Perspektive nur dann entstehen, wenn das Volk ein Bewusstsein über die ihm eigene Art entwickelte. Die Erkenntnis der eigenen Art suchten die Völkischen in der Geschichte. Daraus resultiert das stark pädagogische Moment der völkischen Geschichtsschreibung, die hier unverkennbar in der Tradition des 19. Jahrhunderts steht. Der Düsseldorfer Gymnasialprofessor Heinrich Wolf forderte, Geschichte zur 'Förderung unseres Volkstums' zum wichtigsten Schulfach zu machen, während es für Heinrich Claß ohne Geschichte keine 'Liebe zum Vaterland' geben konnte, weswegen Geschichte nicht nur 'Rückgrat der Schulerziehung', sondern auch Bestandteil jedes Studiums sein sollte. Für Adolf Reinecke war es die wichtigste anstehende Aufgabe, aus der Geschichte die Natur des deutschen Wesens zu erkennen, um dieses zu verwirklichen und seine Fehler zu beseitigen:
'Deshalb muß sich die völkische Bewegung in hervorragender Weise mit unserer Geschichte befassen, muß unsere geschichtliche Entwickelung berücksichtigen und aus den Lehren der Geschichte die erforderlichen Folgerungen ziehen.'
Darauf ist später näher einzugehen. Auch die diskutierten Rassentheorien, die in Deutschland eine Popularisierung durch die Völkischen erfuhren, bedurften der Geschichtsschreibung. Nur durch die Betrachtung der Ver-gangenheit einer als 'Rasse' verstandenen Gruppe ließ sich eine Aussage über deren Kulturwertigkeit treffen und eine scheinbare Rationalisierung des Geschichtsverlaufs konstruieren.
Die Bedeutung der Geschichte für die völkische Ideologie lässt sich anhand solcher Überlegungen erkennen. Aber auch die große Anzahl der von führenden Völkischen verfassten Geschichtsdarstellungen unterstreicht diesen Befund. Die Arbeit soll zeigen, dass sich die Völkischen dabei keineswegs auf die Verherrlichung einer germanischen Frühzeit beschränkten, sondern ganz unterschiedliche und hochgradig ausdifferenzierte, oftmals weltgeschichtliche Geschichtsmodelle entwarfen. Trotz dieser Heterogenität der Ansätze lagen die meisten dieser völkischen Geschichtsbilder auf einer politischen Linie und kamen auf unterschiedlichen Wegen zu den gleichen Ergebnissen, was die grundsätzlichen politischen und allgemein weltanschaulichen Positionen angeht. Dadurch konnten Unstimmigkeiten überbrückt und die völkische Ideologie leichter verbreitet werden. Bewunderer der Antike wurden so genauso angesprochen wie die Bewunderer der germanischen Frühzeit und des Mittelalters. Exemplarisch lässt sich dies in der Reihe von Vorbildern erkennen, in die Willibald Hentschel seinen Freund und Begründer des Hammer-Verlags Theodor Fritsch einreihte: Themistokles, Luther, Bismarck, Fritsch, Hitler.
Gliederung der Untersuchung
Die Untersuchung der völkischen Geschichtsideologie erlaubt es, einen neuen Blickwinkel auf die Bewegung zu eröffnen und gleichzeitig einen Beitrag zur Dekonstruktion des völkischen Diskurses zu leisten. In vorliegender Arbeit sollen deshalb die verschiedenen Aspekte des Themenkomplexes Völkische Bewegung und Geschichte in vier Schritten untersucht werden. Zuerst wird die Bedeutung der Geschichte und der Rasse für die völkische Ideologie anhand einer breiten Auswahl völkischer Publizisten analysiert (Teil I). Daran schließt die Untersuchung von mehreren völkischen Entwürfen einer Weltgeschichte an, die weitergehende Schlüsse auf das völkische Geschichtsdenken ermöglicht und gleichzeitig die dahinter stehende politische Ideologie offenbart (Teil II). Anschließend ist näher die methodischen Einflüsse und die Themen der völkischen Geschichtsschreibung einzugehen (Teil III). Abschließend wird nach dem wechselseitigen Verhältnis von Völkischen und universitären Fachhistorikern gefragt werden (Teil IV).
Quellenauswahl
Die große Heterogenität der Bewegung und der immense Umfang des völkischen Schrifttums stellen für die Erforschung der Bewegung eine Schwierigkeit dar. Legt man allein die Schätzung von Moshe Zimmermann zugrunde, dass es nach 1918 ungefähr 400 völkische Vereinigungen und um die 700 damit zusammenhängende Zeitungen gegeben habe, dann wird deutlich, dass es unumgänglich ist, eine Auswahl an zu berücksichtigenden Quellen zu treffen. Dabei droht die Gefahr, durch die exemplarische Untersuchung von wenigen völkischen Werken mit einer weitreichenden Extrapolation der Ergebnisse ein Bild der Bewegung zu gewinnen, das ihrer Vielschichtigkeit nicht gerecht wird. Aber auch die Berücksichtigung einer großen Zahl der völkischen Publizisten und Kleinstautoren ist problematisch. Eine analytische Betrachtung der Bewegung ist dann kaum mehr möglich.
Deswegen sind der hier vorliegenden Auswahl folgende Gedanken zu-grunde gelegt: Es sollen nur die Werke von Völkischen untersucht werden, denen innerhalb der Bewegung eine Führerschaft bzw. große Bedeutung zugemessen wurde. In Hinblick darauf wurden die völkischen Literaturführer und deren Empfehlungen ausgewertet. Darüber hinaus wurden thematisch relevanten Aufsätze aus wichtigen völkischen Zeitschriften (unter anderem Hammer, Heimdall, Alldeutsche Blätter, Deutschbund-Blätter, Deutsche Welt, Der Reichswart, Deutschlands Erneuerung, Der Volkserzieher, Deutschvölkische Hochschulblätter) herangezogen, da davon auszugehen ist, dass diese auch weniger bekannten völkischen Autoren ein breites Publikum innerhalb der Bewegung garantierten. Die Auswahl der Autoren soll damit gleichzeitig die verschiedenen Strömungen innerhalb der Bewegung widerspiegeln. Den Ausführungen in der Arbeit liegt eine grobe Systematik zugrunde, die folgende Strömungen idealtypisch abzubilden versucht:
1. Alldeutsch-bürgerliche Richtung: Alldeutsche wie Heinrich Claß, Hein-rich Wolf, Albrecht Wirth und Ludwig Schemann, die sich stark auf das Bürgertum bezogen und deren Denken häufig nationalliberale bis konservative Einflüsse hatte.
2. Naturwissenschaftlich orientierte Richtung: Autoren wie Ludwig Wolt-mann, Ludwig Wilser und Willibald Hentschel vertraten häufig monistische, sozialdarwinistische und eugenische Ansichten.
3. Humanistisch-bildungsbürgerliche Richtung: Autoren wie Heinrich Wolf, Ludwig Schemann und Max Wundt, die der humanistischen Ausbildung treu blieben und der Antike (und häufig auch der Weimarer Klassik) normative Bedeutung zusprachen.
4. Antisemitisch-egalitäre Richtung: Antisemiten wie Theodor Fritsch, Bernhard Förster und Graf Ernst zu Reventlow, die den Antisemitis-mus in den Mittelpunkt ihrer ideologischen Entwürfe stellten und oft-mals radikale Forderungen zum Umbau der Gesellschaft äußerten und über eine gewisse Nähe zu sozialistischem Gedankengut verfügten.
5. Ariosophische Richtung: Hier sind vor allem Jörg Lanz von Liebenfels, Guido von List und Philipp Stauff als Anhänger von theosophischem und okkultem Gedankengut zu nennen.
Ob es sich bei den Völkischen um ein rein deutsches und österreichisches Phänomen handelt oder ob es in vielen Ländern vergleichbare Strömungen gab, ist umstritten. Der letztgenannten Deutung folgten bereits die Zeitgenossen; Julius Goldstein meinte beispielsweise im Ku-Klux-Klan die amerikanischen Völkischen zu erkennen. Kürzlich hat Moshe Zimmermann im Rahmen eines Vortrags mit dem Titel The paradox mutation - The jewish-völkisch interpretation of history die provokante, aber plausible These aufgestellt, dass gerade in Israel viele völkische Positionen in enger Tradition zu den deutschen Völkischen vertreten werden. Auch auf sich überschneidende Positionen von deutschen Völkischen und schwedischen sowie japanischen Strömungen wurde bereits hingewiesen. Die vorliegende Arbeit beschränkt sich dezidiert auf die deutschen Völkischen; die Frage nach der Internationalität des Völkischen wird in Zukunft für die Forschung indes eine wichtige Aufgabe sein. Eine weitere Eingrenzung ist zeitlicher Natur: In der vorliegenden Arbeit wird im Wesentlichen die Hochzeit der Völkischen Bewegung untersucht werden, die zwischen 1900 und 1925 angesetzt werden kann. Mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus in der Mitte der 1920er Jahre war, wie Günter Hartung treffend diagnostiziert hat, eine Marginalisierung der Völkischen verbunden, die es schwer macht, die Übergänge und Brüche zum Nationalsozialismus klar zu benennen. Frank-Lothar Kroll hat 1998 eine Studie über das Geschichtsdenken der Nationalsozialisten vorgelegt, die sich an den individuellen Ge-schichtsvorstellungen Adolf Hitlers, Alfred Rosenbergs, Richard Walther Darrés und Heinrich Himmlers orientiert. Kroll hat gezeigt, dass sich Geschicht als Leitbegriff für eine ideengeschichtliche Untersuchung der nationalsozialistischen Ideologie verwenden lässt. In vorliegender Arbeit gilt es zu zeigen, dass dies tendenziell noch stärker auf die Untersuchung der völkischen Ideologie zutrifft. Während Kroll bemüht ist, den Einfluss des Geschichtsdenkens der vier exemplarisch untersuchten Nationalsozialisten auf ihre politischen Handlungen nachzuweisen, soll es in vorliegender Arbeit mehr um die Ideologie der Völkischen, wie sie sich ideengeschichtlich aus einer Vielzahl von Monographien und der reichhaltigen Zeitschriftenlandschaft herauspräparieren lässt, gehen und weniger um die realiter kaum vorhandenen politischen Wirkungsmöglichkeiten der Völkischen. Geht man davon aus, dass sich die nationalsozialistischen Geschichtsbilder als (teils vereinfachte) Fortschreibungen der völkischen Geschichtskonstruktionen begreifen lassen - und dieser Befund wird durch den Vergleich der Ergebnisse von Kroll und die der vorliegenden Arbeit erhärtet -, dann lässt sich die konkrete nationalsozialistische Politik als teilweise Verwirklichung völkischer Geschichtsutopie begreifen.
Von großer grundsätzlicher Bedeutung für die Erforschung der Völkischen Bewegung ist das Verhältnis von Völkischer Bewegung und Alldeutschem Verband. Dieser war nicht einfach ein Teil von jener, sondern kann als Knotenpunkt des ganzen rechten Spektrums gelten. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass führende Völkische wie Otto Ammon, Artur Dinter, Paul Förster, Friedrich Raab, Friedrich Lange, Ernst Graf zu Reventlow, Max Robert Gerstenhauer, Paul Langhans, Alfred Roth, Ludwig Schemann, Ludwig Wilser, Max Wundt, Heinrich Wolf, Adolf Bartels, Philipp Stauff, Theodor Fritsch, Kurd von Strantz, Reinhold Wulle oder Albrecht Wirth dem Verband zum Teil in hohen Positionen angehörten. Während der Verband anfänglich noch stark zum 'alten Nationalismus' (Stefan Breuer) tendierte, wurde der Einfluss des 'völkischen Nationalismus' nach der Jahrhundertwende immer stärker. Diese ideologische Verschiebung des Verbands wurde maßgeblich von Heinrich Claß bewirkt, der seit 1908 den Verband leitete, zuvor führend dem Deutschbund angehörte und ideologisch zur Völkischen Bewegung zu rechnen ist. Allerdings lassen sich auch nach 1908 noch Unterschiede zwischen beiden Bewegungen feststellen. Von völkischer Seite wurde noch Mitte der 1920er Jahre der bezeichnende Vorwurf erhoben, dass der Alldeutsche Verband zu elitär ausgerichtet sei. Stefan Breuer hat vorgeschlagen, für dieses uneindeutige Verhältnis den aus der Physik entliehenen Begriff der Interferenz anzuwenden. Damit soll beschrieben werden, 'daß es sich um die zeiträumliche Kopräsenz zweier verschiedener Bewegungen handelt, die durch ihr partielles Zusammen-fallen nicht in ihrer Eigenständigkeit tangiert werden.' Dies mag der Fall sein. Doch kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Verband eine 'wesentliche organisatorische und ideologische Konstante der ?Völkischen Bewegung?' darstellte, auch wenn es viele Mitglieder, wie Max Weber, im Verband gab, die mit den Völkischen sicher nichts anzufangen wussten. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, werden die Publikationen des Verbands bei der Untersuchung herangezogen. Was in den Alldeutschen Blättern geschrieben wurde, wurde von den führenden Völkischen gelesen und lag prinzipiell auf einer Linie mit ihren Ansichten, zumal dort auch Völkische publizierten und Bekenntnisse zur Bewegung erschienen: Für Hans von Liebig waren '[v]ölkisch gesinnt' und 'alldeutsch sein' schlicht Pseudonyme. Eine enge Verbindung zwischen Völkischer Bewegung, Rassentheorieanhängern und Alldeutschen war darüber hinaus über Lud-wig Schemann und sein Wirken für die Rassentheorie Arthur de Gobineaus gegeben, über die in den Alldeutschen Blättern und auch in der Deutschen Geschichte von Heinrich Claß affirmativ berichtet wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Gobineau-Vereinigung schließlich in den Alldeutschen Verband inkorporiert, was das alldeutsche Bekenntnis zum Rassismus unterstreicht. Vorsicht ist dagegen beim Ideentransfer in die andere Richtung angebracht: Nicht jeder völkischer Autor wurde von allen Alldeutschen wahrgenommen und auch nicht jede völkische Idee goutiert.
Rainer Herings Diktum über den Alldeutschen Verband lässt sich mit einiger Berechtigung auf die Völkische Bewegung übertragen: Mitte der 1920er Jahre wurde sie mehr und mehr 'als ein Fossil aus einer längst vergangenen Zeit' empfunden. Der Erfolg des Nationalsozialismus führte indes dazu, dass eine ganze Reihe von völkischen Positionen verwirklicht wurden - die Marginalisierung der Völkischen ging einher mit der (teilweisen) Übernahme ihres Gedankenguts durch andere Strömungen. Aus dieser Perspektive ist die Geschichte der Völkischen eine Erfolgsgeschichte. Dieser Umstand unterstreicht die Wichtigkeit, die Völkischen nicht als Figuren aus dem Kuriositätenkabinett der Geschichte zu präsentieren, sondern gerade ihren Einfluss auf die Mitte der Gesellschaft herauszustellen. Entsprechend soll nur kurz auf die Ariosophen Guido von List und Jörg Lanz von Liebenfels eingegangen werden, die zwar auch in der Bewegung immer wieder angefeindet wurden, sich aber dennoch einer gewissen Rezeption und gewisser Artikulationsmöglichkeiten erfreuen konnten und beispielhaft für okkulte Tendenzen in der Bewegung standen. Anhand des Vergleichs ihrer Thesen mit denen anderer völkischer Richtungen lässt sich der Blick auf die gesamte Bewegung schärfen.
Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts von Houston Stewart Chamberlain , die unter Pseudonym ('Einhart') veröffentlichte Deutsche Geschichte von Heinrich Claß und die Bände der Reihe Angewandte Geschichte von Heinrich Wolf stellten die wichtigsten völkischen Geschichtswerke dar und gehörten gleichzeitig zu den auflagestärksten völkischen Büchern überhaupt. Auch der berüchtigte Antisemiten-Katechismus bzw. das Handbuch der Judenfrage von Theodor Fritsch beinhaltete einen historischen Überblick. Der Hammer, die Zeitschrift Theodor Fritschs, kann als das Kernorgan der Völkischen Bewegung zählen, stellt eine 'Chronik des völkischen Denkens' dar. Dies war schon den Zeitgenossen bewusst, was die Bedeutung der dort erschienenen Liste von 'zwölf völkischen Grundwerken' unterstreicht. Darin wurden mit Willibald Hentschels Varuna und der Religionsgeschichte Der falsche Gott von Theodor Fritsch zwei weitere Geschichtsbücher neben den bereits angeführten genannt. Auch die Arbeiten Ludwig Woltmanns, besonders seine Politische Anthropologie sowie Die Germanen und die Renaissance in Italien , sind zu den einflussreichsten völkischen Schriften zu zählen.
Die genannten Werke können als der Kanon der völkischen Geschichtsideologie gelten, anhand dem sich die völkischen Geschichtsbilder und Ideologeme untersuchen lassen. Sie fanden nicht nur in den Literaturführern der Bewegung, sondern auch in Werbeannoncen häufig Erwähnung.
Um diesen Kernkanon herum lassen sich weitere Monographien zu historischen Themen anordnen, die ebenfalls breit von den Völkischen rezipiert wurden. So sind zum Beispiel eine ganze Reihe von Werken des Arztes und Privatgelehrten Ludwig Wilsers zu nennen, der sich mit anthropologischen, prähistorischen und kulturgeschichtlich
Von besonderer Bedeutung für die vorliegende
Neben diesen gedruckten Quellen wurde für vorliegende Arbeit weiterhin der umfangreiche Nachlass Ludwig Schemanns herangezogen, der sich im Archiv der Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau befindet. Die dort befindlichen Briefe lassen in besonderem Maße Schlüsse darauf zu, wie sich völkische Netzwerke über die Bewegung hinaus erstrecken konnten.
Forschungsstand
Agentgetriebene Säkularisierung und chinesische Exper
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