: Davis J.Harbord
: Seewölfe - Piraten der Weltmeere 709 Zäh wie eine Katze
: Pabel eBooks
: 9783966881319
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: Historische Romane und Erzählungen
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Incu, der Arawak-Indianer und Führer des Auslegerbootes, entdeckte als erster den Mann, der verkrümmt zwischen den Stelzwurzeln der Mangroven lag. Aber nicht im Wasser, sondern dort, wo Schwemmgut eine Grenze zwischen Strand und auflaufenden Wellen bildete. Bis zu dieser Stelle, der Mann lag, führte eine Schleifspur aus dem nahen Inseldickicht. Der Mann mußte sich von dort bis zu seiner jetzigen Position geschoben haben, auf dem Bauch. Ein zäher Mann, denn Incu und seine Gefährten sahen, daß der Mann verletzt war. Das Hemd auf seiner rechten Schulter war blutig. Der Mann rührte sich nicht und war offenbar ohne Bewußtsein. Trotzdem waren Incu und seine Männer mißtrauisch und vorsichtig, als sie ihr Boot näher trieben....

2.


Er dachte nach, strich sich über das Kinn und sagte vorsichtig: „Hm-hm, da sind zu viele Wenns. Wenn ich wüßte, wer der neue Gouverneur ist – und wenn ich ihn kennen sollte, dann könnte ich diese Frage besser beantworten. Aber ich glaube, vorerst besteht keine Gefahr für uns. Aus Havanna wurden nur zwei Kriegsgaleonen zur Unterstützung des Überfalls auf unseren Stützpunkt in Marsch gesetzt. Nehmen wir noch die dritte Kriegsgaleone hinzu, dann sind das immer noch zu wenig Schiffe für ein solches Unternehmen – gemessen an der Kampf- und Schlagkraft des Seewolfs, die allen Spaniern bekannt ist. Nicht umsonst ist er für die Krone der Feind Nummer eins, und nicht umsonst hat sie das hohe Kopfgeld auf ihn ausgesetzt. Daraus folgere ich, daß in Havanna nicht mehr Kriegsschiffe zur Verfügung standen. Ich als Gouverneur“, er grinste ein bißchen, „hätte alles aufgeboten, was mir zur Verfügung steht, um den Seewolf zur Strecke zu bringen – zum Beispiel auch die Flottille der Wachboote aus Havanna, die ideale Sturmboote zur Eroberung einer Insel sind. Aber nun zur Frage, ob die Lage unseres Stützpunktes auch in Havanna bekannt sein könnte. Diese Frage möchte ich mit aller Vorsicht verneinen, und das hat einen nur allzu menschlichen Grund. Ich stelle mir vor, daß der Geleitzugführer, dem die geflohenen Engländer die Position des Stützpunktes verrieten, ein ehrgeiziger Seeoffizier ist. Er will den Ruhm, den Stützpunkt des Seewolfs ausgehoben und möglicherweise ihn selbst zur Strecke gebracht zu haben, ganz allein für sich beanspruchen. Beförderung, Dotationen, ein hoher Posten im Marineamt wären ihm sicher. Infolgedessen wird er die Position des Stützpunktes nicht nach Havanna gemeldet haben.“

„Klingt überzeugend“, sagte Arne von Manteuffel. „Und entweder gehört er zu den Toten des Überfalls, oder er konnte sich retten und befindet sich in der Jolle.“ Er schaute hinüber zu Thorfin Njal. „Und darum muß die Jolle gefunden werden und ebenso die ‚Empress‘.“

„Schon klar“, sagte der Wikinger unternehmungslustig. „Ich werde mit meinem Schiffchen die Atlantikseite der Inseln bis hinunter nach San Salvador absuchen, dann im Süden herumholen und den Exuma Sound nordwestwärts abgrasen. Einverstanden?“

Irritiert fragte Jean Ribault: „Wieso die Atlantikseite der südlichen Inseln? Glaubst du, die Kerle auf der ‚Empress‘ sind nach Südosten geflüchtet?“

„Die nicht, aber die Jolle“, erklärte der Wikinger mit Bestimmtheit. „Und die werde ich finden, darauf verwette ich meinen Helm!“

Jean Ribault stieß einen Zischlaut aus und schüttelte den Kopf.

„Ich glaube“, sagte er, „deinen Helm verlierst du, mein Guter.“

Don Antonio schaltete sich ein. „Glaube ich nicht, Señor Njal geht nämlich von der Annahme aus, daß die Spanier mit der Jolle einen Kurs steuern, der ihrer Überzeugung nach von uns nicht in Erwägung gezogen wird. Und da stimme ich ihm zu. Ich würde jedenfalls auch einen Kurs steuern, den meine Verfolger nicht für möglich halten. Habe ich recht, Señor Najal?“ Und er grinste, der Dicke.

Der Wikinger lachte scheppernd. „Genauso ist es, Don Antönchen! Du bist mir ein ganz verdammtes Schlitzohr! Aber das waren auch meine Überlegungen.“

„Eben weil du gleichfalls ein Schlitzohr bist, Señor Njal“, sagte der Dicke. „Und wenn du jetzt mit Señor Ribault um ein Fäßchen Rum wettest, dann weiß ich, daß du es gewinnst.“

„Meinst du?“ fragte der Wikinger lüstern.

„Ich bin überzeugt davon, daß du die Jolle findest, Señor Njal“, erwiderte Don Antonio. „Du gewinnst die Wette.“

„Wette ist angenommen“, erklärte Jean Ribault. „Ich sage, du findest sie nicht, Thorfin. Dann bist du deinen verdammten Helm los, und ich habe ein Fäßchen Rum.“

„So soll es sein!“ dröhnte der Wikinger und hob schon die rechte Pranke, um wieder die Tischplatte zu „streicheln“. Auf halber Höhe stoppte er und äußerte ein „Ähem“.

„Hast du die Tischplatte zerschlagen, Thorfin Njal?“ fragte Gotlinde spitz.

Don Antonio sprang hilfreich ein und sagte hastig: „Sie hatte bereits einen tiefen Riß, Señora Gotlinde. Und als sich Señor Njal vorhin auf die Platte stützte, brach sie durch. Das kann ich bezeugen.“

„Ein Schlitzohr ist des anderen Schlitzohrs wert“, sagte Gotlinde kopfschüttelnd, warf ihrem Poltermann einen scharfen Blick zu und entschwand aus der „Rutsche“.

„Uff!“ ächzte der Wikinger und wischte sich ein paar Schweißtropfen von der Stirn. „Du bist ein wirklicher Freund, Don Antönchen, Glaubte immer, du seist eine ganz miese Laus. Muß mich wohl geirrt haben. Wollte dich mal am Halse in die Länge ziehen. Scheußliche Sache. Bitte um Verzeihung.“

Es passierte selten, daß der Wikinger Reue zeigte oder gar um Verzeihung bat. Don Antonio war ganz gerührt.

„Alles halb so schlimm, Señor Njal …“, begann er.

„Ich heiße Thorfin!“ unterbrach ihn der Wikinger mit Donnerstimme.

Und darauf tranken diese beiden so gegensätzlichen Menschen einen doppelten Rum und beschlossen damit eine seltsame Art von Brüderschaft, die freilich nie von gewissen Frotzeleien frei sein würde. Aber vielleicht lag gerade darin die Würze.

Die Wette zwischen Jean Ribault und dem Wikinger galt.

Die Männer beschlossen, daß Edmond Bayeux mit seiner „Le Griffon II.“ und seiner zwölfköpfigen Mannschaft von Riesenkerlen das Gebiet nach Westen bis zur Florida-Straße, dann nach Norden bis über Grand Bahama hinaus und schließlich über die Cays ostwärts zurück nach Great Abaco absuchen sollte.

Und Jean Ribault würde mit der „Empress of Sea III.“, einem getreuen Nachbau der „Empress of Sea II.“, die Gewässer um die Bahama-Insel Andros herum abkämmen. Dort, so meinten die meisten Männer, müsse vermutlich die „Empress of Sea II.“ zu finden sein – wenn nicht auch die geflüchtete Jolle. An die These des Wikingers und Don Antonios mochte keiner so recht glauben.

Ungeklärt war die Frage nach dem Konvoi und der zu ihrem Schutz zurückgebliebenen Kriegsgaleone. Die Männer von Edmond Bayeux und Jean Ribault würden nach dem Geleitzug Ausschau halten, wenn sie in den Bereich der östlichen Florida-Straße vorstießen. Aber es konnte sein, daß der Konvoi – ungeachtet des Unternehmens der drei Kriegsgaleonen gegen den Stützpunkt der Korsaren – seinen Weg nordwärts mit Ziel Spanien fortgesetzt hatte.

„Da ist uns ein fetter Happen entgangen“, knurrte der Wikinger und konnte sich einen Seitenhieb auf Arne von Manteuffel nicht verkneifen. „Wenn deine Leute in Havanna nicht krank gespielt hätten, wäre das alles nicht passiert.“

Arne blieb kühl und entgegnete: „Wenn du nicht die Tischplatte zertrümmert hättest, wäre sie noch heil – und Don Antonio hätte nicht für dich zu lügen brauchen, alter Freund!“

Der Wikinger zog ein bißchen den behelmten Kopf ein.

„So ist es“, bestätigte Jean Ribault. „Und ich schätze, daß Jörgen Bruhn und Jussuf nicht die Männer sind, die – wie du so schön sagst, mein lieber Thorfin – krank spielen. Diese Unterstellung möchten wir alle überhört haben. Vielleicht wirst du dir mal darüber klar, daß die Männer in der Faktorei Arnes in Havanna auf einem Pulverfaß sitzen, das täglich hochgehen kann. Du sitzt dagegen hier in der ‚Rutsche‘ ungestört auf deinem Bierarsch, zertrümmerst Tischplatten und Krüge und brauchst nur in Deckung zu gehen, wenn Gotlinde mal aufkreuzt, gegen die dich dann Don Antonio herauspaukt. Arnes Männer zu kritisieren, das steht dir nicht zu – keinem von uns, wohlgemerkt, denn Arnes Männer befinden sich in einem Hornissennest, wir aber nicht.“

„Hab’s nicht so gemeint“, murmelte der Wikinger.

„Dann halte auch besser die Luke, durch die du eimerweise das Bier in dich hineinschüttest!“ fauchte Jean Ribault aufgebracht, obwohl ihm Arne von Manteuffel beruhigend die Hand auf den Arm legte. „Ach was, Arne! Das muß mal gesagt werden – und Hasard hätte diesen Großkotz längst in die Schranken gewiesen. Mir geht der Gaul durch, wenn ich höre, deine Männer spielten krank. Eine solche Behauptung ist infam und beweist, in welchen Denkvorstellungen sich dieser Thule-Spinner...