In meinem Apartment in Marina del Rey, dem eleganten Yachthafen von Los Angeles, beginnt meine Reise zurück in die Zukunft.
Lustig klimperten die Stahlseile gegen die vielen Masten der Segelboote, die genau unter meinem Fenster im leichten Wind des Pazifiks dümpelten. Sie stimmte mich jeden Morgen fröhlich, diese Musik aus Ozean, Freiheit und Meeresbrise.
Nach einem Frühstück mit Muffins, kackenden Spatzen und Ami-Kaffee machte ich mich an diesem Vormittag daran in einer Holzkiste zu kramen. In meiner Kindheit war sie stets verschlossen und stand oben auf dem Kleiderschrank meiner Großeltern in Hamburg, auf der vierten Etage. Für mich und meinen Cousin unerreichbar, was uns mächtig nervte. Wir wollten wissen was sich darin verbarg. In diesem Kasten – wie es in meiner Familie offensichtlich üblich gewesen war, wurden die wichtigsten Papiere aufbewahrt und durch den Ersten und Zweiten Weltkrieg gerettet.
In einem großen Paket, innen verpackt in die neuesten Tageszeitungen aus Hamburg, brachte der US-Parcelservice diesen Holzkasten. Meine Tante Anneliese liebte solche Überraschungen. Selbst wenn ich tausende Kilometer entfernt wohnte. Sie schickte immer Pakete. Klar mit einem Laib Schwarzbrot, Leberwurst und einigen Franzbrötchen aus der Bäckerei „Nur Hier“.
In Hamburg Lokstedt, direkt hinter den Studios vom NDR hatte sie eine öffentliche Quelle neben ihrem Verkaufsraum eingebaut.
Immer habe ich dort meine Franzbrote gekauft und Wasser in Plastikflaschen abgefüllt. Es war gutes Wasser. Immer. Weil die Brötchen so vom vielen Zucker und Honig klebten. Das Quellwasser schmeckte gut dazu. Klebrige Frische eben, echt lecker. Schlecht für die Zähne, gut für die Laune. Ich kramte zwischen zerknüllten Zeitungen, selbstverständlich hatte die Tante die neueste Ausgabe vom Hamburger Abendblatt verwendet. War mit auch klar. Der muss in den USA Kontakt zur Heimat halten, dachte sie sich wohl dabei. In diesem mysteriöse, alten, nach osteuropäischer Kunstschnitzerei aussehenden Deckelkasten tauchten plötzlich völlig gruselige Bilder auf. Ich erschrak vor dem, was ich entdecken würde. Meinen Kopf schüttelnd, blickte ich lächelnd durch meine großen Fenster auf die vorbeifliegenden Pelikane, die mich mitzunehmen schienen, in eine längst vergangene Zeit. Mit den großen weiß-rosa Vögeln verschwand ich hinter dem Horizont in meiner eigenen Vergangenheit. Der Bescheid über die Höhe der Kriegsrente meines Stiefvaters, ließ an den brutalen Mann mit seiner Krallenhand denken. Meine Angst als Kind vor dieser Kriegserinnerungskralle fand ich jetzt lustig. Der Mann hatte einen Durchschuss seines Handgelenks aus Russland mitgebracht. Das geschah ihm Recht, diesem Sadisten. Ich drehte mich um, meine Balkonblumen lachten mich an und die Palmen standen dort Draußen wie jeden Tag. Diese verdammte, verkrüppelte Hand griff nicht nach mir. Nee, tat sie nicht mehr. Mehr und mehr versank ich in meiner Vergangenheit. Die Sterbeurkunde meines Urgroßvaters, den sorgfältig ausgeschnittenen Zeitungsartikel über die Gratulation des Kreisleiters, die meiner Urgroßmutter galt, als sie hundert Jahre alt geworden war, die Bescheinigung über das Sorgerecht für mich als Kriegswaise, das Abschlusszeugnis meines Stiefvaters vom Alten Gymnasium in Bremen und die Bestätigung, dass ich bei Leuten in Bremen von nun an zu leben hatte. Ich musste laut lachen. Wie man damals in der Nachkriegszeit über Menschenleben entschied, unglaublich. Lustig, weil es so lange her war. Zwischen diesen und vielen anderen Papieren, fand ich kleinformatige Totenzettel mit Namen und Todesdatum von angeblichen Verwandten, die ich nie kennengelernt hatte. Ich stand auf, diese vielen Gruftys, dachte ich dabei und lächelte. Die hätten bestimmt auch gern einen leckeren Kaffee mit Milchschaum gehabt, den ich mir jetzt machte. Ein vergilbtes, mehrfach gefaltetes Papier bescheinigte meinem Großvater, dass er entscheiden konnte, wo ich zu leben hatte. Welche Perspektiven im Leben räumte man damals herrenlosen Hunden, pardon Kindern ein. Ich lachte laut auf. Mensch war es hier in Marina del Rey am Pazifik schön, wunderbar. Plötzlich hatte ich den Geruch nach