: Martina Wied
: Evelyne Polt-Heinzl
: Das Krähennest
: Edition Atelier
: 9783990650554
: 1
: CHF 22.60
:
: Erzählende Literatur
: German
: 480
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eigentlich ist Kunstgeschichte das Spezialgebiet der französischen Dozentin Madeleine de la Tour, doch mitten im Zweiten Weltkrieg nimmt sie eine Stelle als Sprachlehrerin in einem englischen Internat an. Die Schule wurde vor den deutschen Bombardements aufs Land evakuiert und wird vom liberalen Direktor Leontes unkonventionell geleitet. Madeleine versucht sich einzugewöhnen, mit dem Herzen bleibt sie aber ihrem alten Leben verbunden: mit dem von den Nazis besetzten Paris und ihrem ehemaligen Geliebten Ernest, einem prominenten Schriftsteller, der mittlerweile mit den Nationalsozialisten kollaboriert. Madeleine hadert, ob sie nicht doch hätte bleiben müssen, um gegen das Regime zu kämpfen. Andere Freunde geben in der Schweiz eine Emigrantenzeitschrift heraus und sind nicht weniger irritiert über Ernests politische Kehrtwendung. Doch auch im 'Krähennest' überschlagen sich die Ereignisse zusehends ...

Martina Wied, 1882 in Wien geboren, 1957 ebenda gestorben. Mitarbeiterin der Innsbrucker Kulturzeitschrift 'Der Brenner'. Nach einem frühen Gedichtband erschien 1936 mit 'Rauch über Sanct Florian' ihr erster Roman. 1939 Flucht nach England. Sie verdiente ihren Lebensunterhalt als Lehrerin und schrieb vier weitere Romane, darunter den monumentalen Bildungsroman 'Die Geschichte des reichen Jünglings'. 1947 kehrte sie nach Österreich zurück. 1952 erhielt sie als erste Frau den Großen Österreichischen Staatspreis für Literatur. 'Das Krähennest' erschien erstmals 1951 im Herder Verlag.

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Niemand hatte sich vorgestellt, daß die Übersiedlung so große – so unabsehliche Folgen mit sich führen würde. Im ersten Augenblick, als Leontes die erlösende Nachricht brachte, er habe etwas Geeignetes gefunden, ein Landgut mittlerer Größe, wo die Wohngebäude zwar nicht Raum genug für alle Kostschüler, die Gründe aber ausgiebigen Platz zur Errichtung von Notstandsbauten und Baracken boten, und er habe diesen Besitz nicht etwa nur gepachtet, sondern käuflich erworben – da schallte ihm allgemeiner Jubel entgegen. Wie unbeliebt der Prinzipal auch bei der Mehrzahl seiner Zöglinge, von den Lehrern ganz zu schweigen, sein mochte, jetzt hätte ihn jeder und jede umarmen wollen; denn alle waren, wie verschieden auch sonst im Seelischen und Geistigen, an Charakter und Widerstandskraft, nur mehr von einem einzigen Gedanken besessen: Fort von hier! Fort von den pfeifenden, schmetternden, berstenden, erflammenden Bomben – den knisternden und krachenden, »sprechenden« Mauern, den zerspringenden, splitternden, zu Boden prasselnden Fensterscheiben, dem dumpfen Hummelsummen kreisender Schutzflugzeuge, dem Knattern der Abwehrgeschütze, den lichtlosen, luftlosen, schimmelfeuchten Kellern, wo sie nun seit Wochen bereits ihre angsttraumerfüllten Nächte verbrachten.

Am Anfang war auch alles wunderschön, nahezu vollkommen. Wem das Haupthaus unter dem zierlichen Balusterdach keine Unterkunft mehr bot, der fand sie in den ehemaligen Stallungen, und waren auch diese – Sattelraum, Pferdeschwemme und die darüber liegenden, unter dem vorigen Besitzer seinen Reitknechten zugewiesenen Zimmerchen – besetzt, dann verfiel