: Harald Lesch, Karlheinz A. Geißler, Jonas Geißler
: Alles eine Frage der Zeit Warum die »Zeit ist Geld«-Logik Mensch und Natur teuer zu stehen kommt
: oekom verlag
: 9783962387709
: 1
: CHF 14.50
:
: Gesellschaft
: German
: 272
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
»Klimakrise, Artensterben, Burn-out? Alles eine Frage der Zeit!« Harald Lesch Zeitnot und Hektik prägen unsere Gesellschaft. Gemäß dem Motto »Zeit ist Geld« kämpfen wir gegen alles Langsame, Bedächtige oder Pausierende, oft bis zur Erschöpfung. Dafür zahlt auch die Natur einen hohen Preis: Unsere Nonstop-Gesellschaft forciert die ökologische Krise. Was die Natur in Jahrtausenden erzeugt hat, wird in kürzester Zeit »verwertet«, ja regelrecht verbrannt. Offensichtlich müssen wir uns die Sache mit der Zeit noch einmal genauer anschauen. Das haben sich der Physiker und Philosophieprofessor Harald Lesch, der Zeitexperte Karlheinz A. Geißler und der Zeitberater Jonas Geißler vorgenommen. Das Trio erklärt unterhaltsam, was Zeit eigentlich ist, wie sich unser Zeitverständnis im Lauf der Jahrhunderte geändert hat und warum uns die Zeit so oft fehlt - obwohl doch ständig neue nachkommt. Ein Buch, das die wichtigsten Zeitfragen beantwortet, auch die nach mehr Zeitwohlstand und einem Leben in besserem Einklang mit den Rhythmen der Natur.

Harald Lesch ist Physiker, Naturphilosoph, Autor und Fernsehmoderator (unter anderem für Abenteuer Forschung, Leschs Kosmos und die Terra-X-Reihe Faszination Universum). Der Autor zahlreicher Bestseller lehrt als Professor für Theoretische Astrophysik am Institut für Astronomie und Astrophysik der Universität München und als Lehrbeauftragter für Naturphilosophie an der Hochschule für Philosophie München.
Kapitel 1
Die Krisen der
Gegenwart
 
»Unsere Zeit«, die Gegenwart, ist wie keine andere von ökologischen Krisen gezeichnet. Schon vor der Corona-Krise, und vermutlich noch lange nach ihr, dominiert das Wort »Krise« die täglichen Nachrichten.
Laut Wikipedia bezeichnet eine Krise im Allgemeinen einen Höhepunkt oder Wendepunkt einer gefährlichen Konfliktentwicklung in einem natürlichen oder sozialen System, dem eine massive und problematische Funktionsstörung über einen gewissen Zeitraum vorausging, die eher kürzer als länger andauert. Die mit dem Wendepunkt verknüpfte Entscheidungssituation bietet in der Regel sowohl die Chance zur Lösung der Konflikte als auch die Möglichkeit zu deren Verschärfung. Dass es sich hierbei um einen Wendepunkt handelt, kann jedoch oft erst festgestellt werden, nachdem die Krise abgewendet oder beendet wurde. Nimmt die Entwicklung hingegen einen dauerhaft negativen Verlauf, so spricht man von einer Katastrophe.
So weit, so gut. Dann machen wir doch mal einen Spaziergang durch das Gruselkabinett moderner Gesellschaften, die sich so sicher sind, dass alles immer verfügbar ist: Energie, Materie und Umwelt.

Die Krise der Energie


Im Westen, in den industrialisierten Gesellschaften, die am deutlichsten von der Globalisierung profitieren, sind wir Meister darin, ökologische Katastrophen zu verdrängen. Das fällt uns (noch) leicht, denn wir lösen die Katastrophen mit unserem Lebensstil woanders aus. Dieses »Woanders« ist meistens weit weg, irgendwo in Afrika, Südamerika oder Asien. Manchmal auch auf den Ozeanen zwischen den Kontinenten. Wie wir das tun? Nun, indem wir mit unserem Lebensstil in einem Ausmaß Energie verbrauchen, wie man es sich kaum vorzustellen vermag. Nur um mal einen Eindruck zu gewinnen: Wer auf einem Fahrradergometer zehn Stunden lang 100 Watt gestrampelt hat, hat gerade einmal eine Kilowattstunde an Energie freigesetzt. Die Deutschen verbrauchen jeden Tag und pro Person aber über 100 Kilowattstunden an Energie!
In dieser Energiemenge steckt alles, was wir tun: wie wir heizen, wie wir uns bewegen, wie wir kommunizieren, die Industrieproduktion, alles. Unsere Art des Wohnens, Essens, Trinkens und Reisens macht »Energiesklaven« nötig. Denn diese Energiemenge holen wir aus Kohle, Öl und Gas, inzwischen auch aus Sonne, Wind und Biomasse. Letztere Energiequellen sind heimisch, die Anlagen stehen bei uns im Land. Aber die fossilen Ressourcen, die holen wir aus der ganzen Welt zu uns. Diese fossilen Ressourcen sind vor rund 300 Millionen Jahren entstanden, in den Erdzeitaltern Karbon und Perm, durch Ablagerung und Pressung der Biomasse (alles, was damals gelebt hat) im Erdboden. Im Vergleich dazu ist es atemberaubend, wie schnell wir den gespeicherten Kohlenstoff, den wir seit rund 200 Jahren aus dem Boden wieder herausholen, verbrauchen: Wofür die Natur über eine Million Jahre zur Herstellung gebraucht hat, das verbrauchen wir in einem einzigen Jahr. Unser Energiehunger ist enorm, angefacht zu Lande, zu Wasser und in der Luft durch unsere Mobilität, Produktivität und ein sich stetig hebendes Wohlstandslevel. Seit Jahrzehnten gibt es keine Einschränkungen mehr im Energieangebot, deshalb verbrauchen wir ungebremst und unreflektiert immer mehr.
Hätten wir seit 1973 jedes Jahr eine Ölkrise mit mehreren autofreien Sonntagen erlebt, dann wären unsere Autos heute sicher deutlich leichter, kleiner und insgesamt sparsamer – vielleicht hätten wir sogar weniger. Allein die Vorstellung, Mitte der siebziger Jahre hätte mehr als ein Fünftel aller Pkw-Neuzulassungen aus riesigen allradgetriebenen Luxuslimousinen (SUVs) bestanden, wäre angesichts der damaligen Ölpreise nachgerade unvorstellbar.
Es ist also gerade die scheinbar grenzenlose Verfügbarkeit der Ressourcen, die unseren Energieverbrauch immer weiter hat anwachsen lassen. Man könnte es zugespitzt auch so formulieren: Wir haben Energie-Adipositas, wir sind energetisch »verfettet«. Als Physiker kann ich mir eine kleine Rechnung nicht verkneifen: Bei einem ungebremsten Energiewachstum von vier Prozent jährlich (wie bisher, vor der Corona-Pandemie) und dem derzeitigen Energi