Erfolg Talent Potenzial: Die Stunde der Sieger
// VonDavid Epstein
Wie entstehen außergewöhnliche Leistunge? Und welche Fähigkeiten machen echte Sieger und Gewinner aus? Der Sport ist ein gutes Beispiel.
Ist die Fähigkeit zu siegen angeboren?
Im College hatte ich die Gelegenheit, gegen Kenianer anzutreten, und fragte mich, ob Ausdauergene die Reise aus Ostafrika mitgemacht hatten. Gleichzeitig fiel mir auf, dass sich fünf Teamkameraden, die Tag für Tag, Schritt für Schritt miteinander trainierten, dennoch zu fünf völlig verschiedenen Läufern entwickelten. Wie konnte das sein?
Nach dem Ende meiner College-Läuferkarriere studierte ich Naturwissenschaften und schrieb später für die Sports Illustrated. Eine Recherche führte mich jenseits des Äquators und des Polarkreises und brachten mich in Kontakt mit Weltmeistern und Olympiasiegern, aber auch mit Tieren und Menschen, deren seltene Genmutationen oder außergewöhnliche körperliche Eigenschaften einen drastischen Einfluss auf die körperliche Leistung haben. Unterwegs erfuhr ich, dass Charaktereigenschaften wie beispielsweise die Trainingsmotivation, die ich für eine Frage des Willens hielt, tatsächlich in großem Maße genetisch bestimmt sind, während andere vermeintlich angeborene Eigenschaften wie die blitzschnelle Reaktionsfähigkeit eines Baseball- oder Cricket-Schlagmanns womöglich gar nicht erblich bedingt sind.
Wie man Können ohne Gene erklärt
Beginnen wir doch gleich einmal mit einem Beispiel dazu. Das American-League-Team lag weit zurück, und für das NationalLeague-Team trat gerade Schlagmann Mike Piazza an. Also holte man die Geheimwaffe aufs Feld. Jennie Finch schlenderte an einer Phalanx der weltbesten Batter vorbei auf das sonnenbeschienene Infield. Ihr flachsfarbenes Haar strahlte im klaren Wüstenlicht. Seit vierundzwanzig Jahren war das Pepsi All-Star-Softballspiel ein Ereignis, an dem nur Baseballspieler der Major League teilnahmen. Die Menge brummte vor Aufregung, als die 1,85 Meter große Spitzenpitcherin der Softball-Nationalmannschaft den Pitcher-Hügel erreichte und ihre Finger um den Ball legte.
Es war ein milder Tag im kalifornischen Cathedral City; 21 Grad warme Luft füllte die hiesige Nachbildung des Wrigley Field der Chicago Cubs, einer der uramerikanischen Sportkathedralen. Die Replik in Dreiviertel der Originalgröße glich dem Original bis hin zu den mit Efeu bedeckten Mauern. Sogar die geziegelten Wohnhäuser der Chicagoer Nachbarschaft waren dort in der Wüste am Fuße der Santa Rosa Mountains präsent, auf beinahe lebensgroß ausgedruckten Originalfotos. Finch, die in wenigen Monaten bei den Olympischen Spielen 2004 eine Goldmedaille gewinnen sollte, war ursprünglich nur als Mitglied des Trainerstabs der American League eingeladen worden.
Die Baseball-Geheimwaffe
Das änderte sich, als die Stars der American League im fünften Inning mit 9:1 in Rückstand gerieten. Kaum war Finch auf dem Mound angekommen, machten es sich die Defensivspieler hinter ihr gemütlich. Der Yankees-Infielder Aaron Boone zog seinen Handschuh aus und legte sich hin, wobei er die zweite Base als Kissen benutzte. Hank Blalock von den Texas Rangers nutzte die Gelegenheit für ein Schlückchen Wasser. Immerhin hatten sie Finch während des Schlagtrainings pitchen gesehen.
Im Rahmen der Feierlichkeiten vor dem Spiel hatte eine Reihe von Major-League-Stars ihre Fähigkeiten gegen Finchs Unterhandgranaten getestet. Finchs Würfe kommen aus einer Entfernung von 13 Metern und erreichen Geschwindigkeiten von annähernd 110 km/h. So benötigt der Ball ungefähr die gleiche Zeit bis zur Home Plate wie ein 150 km/h schneller Fastball vom 18 Meter entfernten regulären PitcherHügel. Ein solcher Fastball ist zwar schnell, aber für Profi-Baseballer auch Routine. Zudem ist ein Softball größer und sollte daher leichter zu treffen sein.
Menschen mit ungeahnten Fähigkeiten
Trotzdem ließ Finch die Bälle mit jedem Windmühlenschwung ihres Armes an den verdutzten Männern vorbeisausen. Als Albert Pujols, der größte Batter einer ganzen Generation, beim Aufwärmtraining Finch gegenübertrat, drängten sich die anderen Starspieler gaffend um ihn herum. Nervös richtete Finch ihren Pferdeschwanz. Ein breites Lächeln huschte über ihr Gesicht. Freude durchströmte sie, aber auch die Sorge, dass Pujols ihren Wurf mit einem Line Drive erwidern könnte. Über seiner breiten Brust baumelte eine silberne Kette, seine Unterarme waren so breit wie der Kopf des Schlägers. »Na dann«, sagte Pujols leise und signalisierte damit seine Bereitschaft. Finch schwankte erst nach hinten, dann nach vorne und peitschte dabei den Wurfarm in weitem Bogen. Zunächst feuerte sie einen hohen Pitch ab. Bei dem Anblick taumelte Pujols erschrocken zurück. Finch kicherte.
Sie ließ einen weiteren Fastball folgen, der diesmal hoch und innenseitig ankam. Pujols wirbelte defensiv herum und drehte den Kopf weg. Hinter ihm lachten seine Kollegen laut auf. Pujols trat aus seiner Position heraus, fasste sich und nahm seinen Platz wieder ein. Er scharrte mit den Füßen, bis er sicher stand, und starrte Finch an. Der nächste Pitch ging ab durch die Mitte. Pujols wirbelte ihm einen mächtigen Schwung entgegen, aber der Ball segelte am Schläger vorbei und die Zuschauer johlten. Der nächste Wurf war weit außen und Pujols ließ ihn vorbeifliegen. Mit dem darauffolgenden erzielte Finch wieder einen Strike, während Pujols nur leere Luft traf. Für den verbleibenden Pitch rückte Pujols ganz nach hinten in die Batter’s Box und duckte sich tief. Finch schwang erst nach hinten, dann nach vorne und feuerte. Pujols schlug weit daneben. Er wandte sich ab und ging zu seinen kichernden Kameraden. Dann blieb er verwirrt stehen. Pujols wandte sich wieder Finch zu, zog vor ihr die Mütze und setzte seinen Weg fort. »So etwas will ich nie wieder erleben«, schwor er später.
Die Abwehrspieler hinter Finch hatten also gute Gründe, es sich auf dem Spielfeld bequem zu machen, sobald sie ins Spiel kam: Sie wussten, dass es keine Hits geben würde. Und wie beim Aufwärmtraining bezwang Finch die beiden Batter, gegen die sie antrat. Piazza schwang an drei schnurgeraden Würfen vorbei. Brian Giles, ein Outfielder der San Diego Padres, verfehlte den dritten Strike so sehr, dass ihn sein Schwung in eine Pirouette zog. Anschließend beschränkte sich Finch wieder auf ihre Rolle als Ehrencoach. Aber dies sollte nicht das letzte Mal sein, dass sie Major Leaguer demütigte.
Besser als die Besten
In den Jahren 2004 und 2005 trat Finch regelmäßig in einer Baseballsendung beim Fernsehsender Fox auf. In den Einspielern reiste sie zu den Trainingslagern der