Vater bat mich, ihn zu einem Konzert in der Philharmonie zu begleiten. Er war seit Urzeiten Abonnent. Nach Mutters Tod war Schauli mitgekommen, und nun blieb ihm nichts anderes übrig, als mich zu bitten. Das Gehen fiel ihm schwer, und er ließ sich auch nicht gern einsam und allein in der Öffentlichkeit sehen. Bis zum Konzertsaal tappte er mühsam an meinem Arm, aber kaum waren wir drin, schritt er aufrecht und lächelnd voran, ohne meine Hilfe. Er legte einen derart majestätischen Auftritt hin, dass ich meinen Augen kaum traute. Er hatte viele Bekannte dort, ehemalige Patienten, Leute, die er und Mutter bei gesellschaftlichen Anlässen getroffen hatten, und ehemalige Studenten von ihm, die mittlerweile selbst ergraut waren. Vater schüttelte Hände und lächelte, hatte es nicht eilig, seinen Platz einzunehmen, während ich mitlief und kaum jemanden kannte. Plötzlich begriff ich, dass er mir seine Macht demonstrierte: Das waren seine Patienten und seine kultivierten Bekannten, die in Konzerte gingen, im Gegensatz zu den Halbwilden, die ich therapierte, und den groben Militärs, mit denen ich von Jugend an verkehrte. Mir war es egal, sollte er seine Show abziehen, ich war wegen der Musik da. In den letzten Jahren hatte ich klassische Musik lieben gelernt, sie begann mich anzusprechen, wie ich stolz vermerkte, ein Zeichen, dass ich mich noch weiterentwickelte, innerlich beweglich blieb.
Ich sah ins Programmheft: Als Erstes käme ein Mozartkonzert für Violine und Orchester. Der Dirigent bestieg die Bühne, die Solistin im Schlepptau, das Orchester setzte ein. Sie stand geduldig da, den Bogen gesenkt, bis ihr Einsatz kam und sie den Bogen schwang, eine schöne, junge Frau mit bloßen Armen, die Augen geschlossen. Und schon beim ersten Ton hatte ich das Gefühl, sie spiele in mir drinnen, spritze die Musik in mein Nervensystem. Alles an ihr war wunderbar, ihre Gesten, ihre höchste Konzentration, die glatte, gerundete Stirn. Anfangs fürchtete ich, sie könnte einen falschen Ton erwischen, aber sie schwang sich auf, war gar nicht mehr auf Erden. Ich sah mich um, ob andere dieses Wunder ebenfalls erkannten, und merkte, dass auch Vater ergriffen war. Ich legte kurz meine Hand auf seine, federleicht, nur ganz sanft berührend, es war eine Gnadenstunde. Das Orchester gesellte sich der Violinistin in einem Crescendo hinzu, und als es zu Ende war, ließ sie den Bogen sinken, das Haar leicht zerzaust, und ruhte bis zu ihrem nächsten Soloeinsatz. Ich ließ mir nichts anmerken, war jedoch zutiefst erregt. Schade, dass Schauli nicht hier ist, dachte ich, er ist viel musikalischer und empfindsamer als ich, aber er stählt sich jetzt, wird rauer, wird derb. Genau das wolltest du doch, als du ihn dorthin geschickt hast, wie du auch zugelassen hast, dass man ihn am achten Tag beschnitt. Jetzt konnte ich die Musi