: Else Ury
: Nesthäkchens Backfischzeit Nesthäckchen Band 5
: RUTHebooks
: 9783944869148
: 1
: CHF 0.90
:
: Erzählende Literatur
: German
: 200
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
FürRUTHeBooks Klassiker lassen wir alte oder gar schon vergriffene Werke als eBooks wieder auferstehen. Wir möchten Ihnen diese Bücher nahebringen, Sie in eine andere Welt entführen. Manchmal geht das einher mit einer für unsere Ohren seltsam klingenden Sprache oder einer anderen Sicht auf die Dinge, so wie das eben zum Zeitpunkt des Verfassens vor 100 oder mehr Jahren 'normal' war. Mit einer gehörigen Portion Neugier und einem gewissen Entdeckergeist werden Sie beim Stöbern in unserenRUTHeBooks Klassikern wunderbare Kleinode entdecken. Tauchen Sie mit uns ein in die spannende Welt vergangener Zeiten!

1. Das lustige halbe Dutzend



Im Ofen heulte der Wind. Erächzte und stöhnte. Mit knöcherner Hand fuhr er in den Schornstein und wirbelte die Kohlenglut ungestüm durcheinander. An den Fensterscheiben rüttelte er, daß sieärgerlich anfingen zu klirren. Jetzt warf er gar ein paar Hände Eisschollen wie ein echter Gassenjunge gegen das Fensterglas. Dann aber gab er schnell Fersengeld. Denn innen hinter der weißgepunkteten Mullgardine tauchte ein rosiger Blondkopf auf, mit weitaufgerissenen Blauaugen in das tolle Durcheinander hinausstarrend.

»Brrr– ist das ein Hundewetter!« Doktor Brauns Nesthäkchen schüttelte sich.»Die Mädels werden sich durch den Hagel doch nicht vom Kränzchen zurückhalten lassen? Ach wo, die sind nicht aus Marzipan. Höchstens Margot Thielen, aber die wohnt auf demselben Flur und braucht sich keinen Fuß naß zu machen. Wenn nur Veras Tante nicht Einspruch erhebt, die denkt auch immer gleich, wenn Vera mal hustet, sie hätte schon die Lungenentzündung. Himmel– ist denn die Welt ganz aus den Fugen!« Ein erneuter Hagelschauer prasselte gegen die Scheibe; die weißen Körner sprangen und hopsten so hoch, als hätten sie es auf Nesthäkchens sich gegen das Glas pressende Nasenspitze abgesehen.

Um so gemütlicher war es drinnen. Die von einem mattlila Seidenschleier gedämpfte elektrische Lampe warf ihr Lichtüber den zierlich gedeckten Kaffeetisch vor dem kleinen bunten Ecksofa. Auf dem goldgelben Gedeck, das Annemarie der Mutter mit dem festen Versprechen abgebettelt, daß bestimmt kein Kaffeefleck darauf prangen würde, standen sechs goldgeränderte Tassen. Die Mitte aber nahm der umfangreiche Kuchenteller ein mit allerlei verlockenden Sachen darauf. Das mochte wohl auch die derbe Jungenhand dazu bewegen, sich nach einem zuckerbestreuten Pfannkuchen auszustrecken und denselben gleich auf einmal in den Mund verschwinden zu lassen.

In diesem kritischen Augenblick gerade wandte sich Annemarie vom Fenster in das Zimmer zurück. Eine Sekunde stand sie entgeistert. Dann aber flog sie auf den Missetäter zu und schien nichtübel Lust zu haben, ihm den entwendeten Kuchen wieder aus dem Mund zu reißen.

»Mutti– der Klaus maust mir meinen Kränzchenkuchen weg! Gerade einen Pfannkuchen hat er erwischt! Und die Hanne hat bloß sechs gebacken, weil sie nicht mehr Fett spendieren wollte. Ach Gott, nun bekommt eine keinen!« so jammerte Annemarie und ging trotz ihrer fast sechzehn Jahre mit kriegerisch erhobenen Fäusten auf denälteren Bruder los.

Der verschanzte sich lachend gegen einen als Schild erhobenen Korbsessel.

»Reg' dich wieder ab, Annemie. Der Pfannkuchen hat deinem lieben Bruder mindestens so gut geschmeckt wie deinen Kränzchenschwestern. Und da du mit deiner Vera stets ein Herz und eine Seele bist, könnt ihr ja auch mal ein Magen sein und euch den Pfannkuchen teilen,« schlug der Primaner mit Gemütsruhe vor.

Aber gerade diese goßÖl in das Feuer von Annemaries leicht aufflammendem Temperament.

»Wenn es noch ein Stück Napfkuchen gewesen wäre!« Die Empörungüber den gemausten Pfannkuchenüberwältigte das junge Mädchen wieder.»Und mein Zimmer paffst du mir auch mit deiner alten Zigarette voll. Bei dem Sturm kann ich nicht mal ein Fenster aufmachen.« Wieder erfolgte ein energischer Vorstoß auf den Bruder.

»Was, ihr Mädels wollt Sekundaner sein und könnt nicht mal ein bißchen Zigarettendampf vertragen? Na, warte, Annemie, ich werde daran denken, wenn du mir mal wieder Zigaretten abbettelst.« Damit blies er der hübschen Schwester eine große Rauchwolke in das Gesicht.

Jetzt ging der Kampf um die Zigarette. Annemarie war geschmeidig wie eine Eidechse. Aber auch Klaus war geschickt und behende. Bald balgten sich die zwei kunstgerecht, wie sie es von klein auf getan hatten. Wenn es jetzt auch mehr Scherz war und weniger erbitterte Formen annahm.

Der Korbsessel stürzte zu Boden. Die Blumenkrippe am Fenster kam bedenklich ins Wanken. Annemaries Blondzöpfe, die sie seit kurzem mit einer schwarzen Seidenschleife am Hinterkopf aufgesteckt trug, entsprangen den fesselnden Nadeln. Puck, das weiße Zwerghündchen, sprang bald an dem einen, bald an dem andern laut blaffend empor, als wolle es seine Neutralität den beiden kriegführenden Parteien bezeigen.

Bums– da flog der goldgeränderte Milchtopf um. Eine weiße Flut ergoß sichüber das schöne goldgelbe Damastgedeck.

»Mutti– Mutti– der Klaus hat– der Milchtopf ist umgefallen.« Annemaries Wahrheitsliebe mußte ihr doch denselben Anteil Schuld zusprechen.»Mutti– ach Gott, hier schwimmt alles!« Der große Backfisch rief nach der Mutter wie das kleine Nesthäkchen aus den Ki