: Stefan Jürgens
: Von der Magie zur Mystik Der Weg zur Freiheit im Glauben
: Patmos Verlag
: 9783843613156
: 1
: CHF 13.30
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: Christliche Religionen
: German
: 176
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
'In 25 Jahren seelsorglicher Praxis ist mir bei vielen Menschen nur wenig Glaube begegnet, dafür aber viel Magie; wenig Gottvertrauen, dafür aber viel Angst; wenig Entwicklung, dafür aber viel Tradition', sagt Stefan Jürgens. Viele Christen leben ihren Glauben so, als solle Gott durch fromme Leistung gnädig gestimmt werden. Stefan Jürgens erzählt, wie er selbst zu einem erwachsenen Glauben gefunden hat: nicht, weil er gut ist, sondern weil Gott gut ist. Er folgt den Spuren geistlicher Entwicklung, wie sie auch in der Bibel ihren Ausdruck finden. Er fragt nach den tieferen Ursachen für das Verharren im Kinderglauben. Entwickelte Spiritualität und Identität zeigt er als entscheidende Schritte zu einem erwachsenen Glauben auf, der nicht fordert, sondern fördert, der im Alltag trägt und der letztlich zur persönlichen Freiheit führt. Ein neuer Blick auf die Kirche und auf die wesentlichen Inhalte des Christentums macht dieses leicht lesbare Buch zu einem anregenden Grundkurs des Glaubens.

Stefan Jürgens, geb. 1968, Priesterweihe 1994, ist seit 2019 leitender Pfarrer der beiden Pfarreien Ahaus und Alstätte-Ottenstein St. Mariä Himmelfahrt mit ihren fünf Gemeinden. Zuvor war er Jugendseelsorger einer Region, Geistlicher Rektor einer Akademie sowie Pfarrer in Stadtlohn und Münster. Durch das 'Wort zum Sonntag' sowie als Hörfunksprecher und Buchautor ist er über die Gemeindepastoral hinaus bekannt geworden. Zu seinen besonderen Anliegen gehören die geistliche Vertiefung des Glaubens sowie konkrete Schritte zur Reform der Kirche um des Evangeliums willen. Seine Freizeit nutzt er zum Schreiben und zum Musizieren.

Was den Kinder- vom Erwachsenenglauben unterscheidet


»Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, kommt ihr nicht in das Reich Gottes« (Mt 18,1–5): Wenn Jesus seine Jünger dazu einlädt, ihr Gottvertrauen am Kind zu orientieren, so meint er damit ganz sicher keinen kindisch-naiven, sondern einen kindlich-vertrauenden Glauben.

Beten und Bitten


Beides lässt sich sehr leicht voneinander unterscheiden, und zwar am ehesten an der Art und Weise, wie wir beten und bitten. Hier zeigt sich, ob wir magisch oder mystisch unterwegs sind, ob wir mit unserem Beten Gott verändern oder uns von ihm verändern lassen wollen, ob wir ihn zum Lückenbüßer und Wünsche-Erfüller machen oder wirklich Gott sein lassen.

Ein Kind bittet: »Lieber Gott, mach, dass morgen schönes Wetter wird.« Ein Erwachsener würde wohl nicht darum bitten, dass Gott die Naturgesetze außer Kraft setzt, um angenehmes Ausflugswetter herbeizuzaubern. Viel eher würde er um eine innere Haltung, um Aufmerksamkeit bitten. Ein Kind bittet: »Mach, dass Oma wieder gesund wird.« Und dabei liegt die Großmutter schon im Sterben. Ein Erwachsener würde wohl sagen: »Gott, gib uns Geduld und Kraft, dass wir diese schwere Zeit gemeinsam bestehen.« Wenn die polnischen Bischöfe 2020 dazu aufgerufen haben, Gott um Regen zu bitten, und wenn Papst Franziskus im selben Jahr einen »Gebetssturm« gegen das Corona-Virus ausgerufen hat, so mag dies pastoral motiviert gewesen sein, um gegen die Angst nicht untätig zu bleiben; letzten Endes bleibt es magisch und naiv, es behindert die Glaubensentwicklung der ihnen anvertrauten Menschen.

Eine besondere Nagelprobe des Gebets sind die Fürbitten. Es ist besser, in den Fürbitten nur das Anliegen zu benennen, die Intention, nicht aber, was Gott konkret damit tun soll, denn damit würden wir ihn um ein Wunder bitten und ihm Benehmen vorschreiben. Die Enttäuschung wäre vorprogrammiert, denn Gottfunktioniert nicht. »Gib den Hungernden Brot« ist meines Erachtens sogar eine Blasphemie, denn es ist genug Nahrung für alle da, es ist ein Verteilungsproblem. Wir können den Egoismus der reichen Länder nicht auch noch Gott in die Schuhe schieben.

Im Kinderglauben ist das Gebet eine magische Beschwörung, durch die man Gott herbeirufen will. Im Erwachsenenglauben ist Gott der Ewige und Heilige, der unverfügbar bleibt, jedoch mit all seiner Liebe am Menschen interessiert ist. Für den Erwachsenen ist das Gebet wie jede andere Art der Kommunikation einfach nur Beziehungspflege. In der Magie soll Gott das tun, was der Mensch will; im Glauben darf der Mensch danach fragen, was Gott will, und es mit seiner Hilfe dann auch tun. Beten verändert weder Gott noch die Welt, sondern es verändert den Betenden. Der erwachsene Christ betet nicht, weil er glaubt, sondern glaubt, weil er betet. Für ihn ist das Beten eine verlässliche Beziehungspflege, die einen festen Ort und eine feste Zeit braucht. Stoßgebete und Bitten nach Lust und Laune sind demgegenüber eher Ausdruck einer naiv-magischen Religiosität, denn sie suggerieren, dass man Gott gebrauchen und nach Belieben herbeizaubern kann. Not lehrt in diesem Sinn nicht Beten, sondern allerhöchstens Betteln. Wer gar nicht mehr weiterweiß, bettelt beim Allerhöchsten und macht ihn damit zu einem Wünsche-Erfüller und Lückenbüßer, zum »Deus ex machina«.

Eine kleine spirituelle Entlastung sei an dieser Stelle dennoch angebracht: Fast alle Menschen fallen in großer Gefahr, bei tiefsitzender Angst und in schwerer Krankheit in archaische Verhaltensmuster zurück. Das beste Beispiel dafür sind die Psalmen, aber auch die Gebete in Kriegs- und Krisenzeiten. Von daher bin ich davon überzeugt, dass Gott jeden Hilfeschrei aus tiefster Not immer hört und versteht, sei er nun naiv und magisch oder aufgeklärt und mystisch. Wir können Gott in kindlichem Vertrauen alles sagen; er