Sie kamen von einer Hochzeit in Stuttgart. Ein Studienfreund hatte sie eingeladen. Nach dem Mittagessen war ein dringender Anruf gekommen, der Dr. Frank Durand in seine Rechtsanwaltspraxis nach Frankfurt zurückgerufen hatte. Frank hatte dem Klienten versprochen, um sechs Uhr für ihn zur Verfügung zu stehen. Der Klient war ein wichtiger Mann, und Frank lag viel an seiner Karriere.
Barbara und Frank hatten sich um vier Uhr von den Freunden verabschiedet. Am meisten hatte Dr. Thomas Calder den verfrühten Aufbruch bedauert. Er hatte sich Barbara als Tischdame ausgebeten und war nicht von ihrer Seite gewichen.
Barbara wusste, dass Thomas, der in ihren Kreisen als der hartnäckigste Junggeselle galt, sie liebte. Sie aber war ihrem Mann, dem sie zwei Kinder geschenkt hatte, ganz ergeben.
Kurz nach Maibach war es dann geschehen. Blitze zuckten in diesem Augenblick über den Himmel, Donner grollten, Dämmerlicht herrschte. Frank beschleunigte sein Tempo und knurrte: »Hoffentlich schaffen wir es bis Sechs!« Er beugte sich über das Steuerrad und trat das Gaspedal durch.
Barbara sah die Schweißtropfen auf seiner Stirn, die zuckende Schläfenader. Er hatte getrunken, wie sie auch. Vergeblich hatte sie ihn gebeten, den Zug zu nehmen. Um ihn jetzt nicht wieder zu reizen, mahnte sie vorsichtig: »Denke an den Sekt, den wir getrunken haben, Frank. Könntest du nicht ein wenig langsamer …«
In diesem Moment geschah es. Wie ein Geist tauchte plötzlich ein blondes Mädchen vor dem Kühler auf. Ein Krachen, ein Schrei! Der Wagen schleuderte, Barbara spürte schmerzhaft den Druck des Sicherheitsgurtes auf ihrer Brust. Und dann schrie sie: »Halte an! Das Kind!«
»Schweig!«, zischte Frank und bog von der Straße ab in einen Feldweg. Der Wagen holperte über Schlaglöcher, ratterte über Steine.
Barbara streckte das Bein aus, um auf die Bremse zu treten. Doch Frank stieß sie weg. »Lass das! Sollen wir auch noch verunglücken?«
Sie griff in das Steuerrad. Abermals schleuderte der Wagen. Wieder erhielt sie einen Stoß und einen Seitenblick, so fürchterlich, dass ihr das Blut in den Adern gerann. »Sie würden mich jahrelang einsperren, wenn sie mich erwischten«, zischte Frank.
»Das Kind«, stöhnte Barbara und schlug die Hände vor das Gesicht. »Das Mädchen! Es war ungefähr so alt wie unsere Erika.« Sie zerrte an seinem Arm. »Halt an! Wir müssen uns um das Kind kümmern. Es war so blond wie unser Liebling. Bedenke doch, wenn Erika etwas so Entsetzliches zustoßen würde, Frank. Bitte, bitte …«
Er unterbrach sie. »Gerade weil ich an unsere Kinder denke, muss ich weg. Es ist zu spät, um umzukehren. Ein Rechtsanwalt, der Fahrerflucht begeht! Ich wäre erledigt, und ihr mit mir.«
Sie erreichten die Autobahn, rasten dahin. Blitze stießen auf die Erde herab, Donnerschläge knallten hinterher. Barbara empfand es wie eine tödliche Drohung. Ihr war, als hielte die Natur den Atem an – wie sie selbst. Erst als Wind aufkam, Regen herabrauschte, fühlte sie sich wie von einem unerträglichen seelischen Druck erlöst.
»Der Regen wird die Reifenspuren verwischen«, knurrte Frank und beugte sich noch tiefer über das Steuerrad.
»Wenn jemand sich unsere Wagennummer gemerkt hat, Frank?«
»Hast du Leute gesehen?«
Barbara verneinte.
»Na also!«
»Dann liegt das Kind hilflos auf der Straße!«, schrie sie. Wieder presste sie die Hände auf die Lippen, um den Schrei zurückzuhalten, der aus ihr herausbrechen wollte.
»Die Straße ist viel befahren. Schweig’ jetzt! Ich muss mich konzentrieren.«
Die Räder surrten. Asphaltgeruch erfüllte den Wagen. Das Gewitter zog ab. Als sie in Frankfurt einfuhren, durchbrachen bereits einzelne Sonnenstrahlen die Wolken und vergoldeten deren Ränder.
Frank fuhr den Wagen in die Garage. Barbara eilte in das Haus, fuhr mit dem Lift in den vierten Stock hinauf, klingelte und hörte Erikas Stimmchen: »Mutti kommt! Vati kommt! Schließen Sie doch auf, Hanni.«
Das Dienstmädchen öffnete. Barbara rannte an Hanni vorbei, riss Erika in ihre Arme. Dann kam Bernd aus dem Wohnzimmer, mit seinem Traktor in der Hand. Er ließ ihn fallen und warf sich an die Brust der Mutter. Barbara umfing ihre Kinder mit beiden Armen, küsste die blonden Haarschöpfe und weinte, weinte.
»Warum weinst du denn, Mutti?«
»Weil ich so glücklich bin, dass ihr gesund seid und dass ich wieder bei euch bin, meine Lieblinge.«
Hanni, die dreißigjährige Hausgehilfin, schüttelte heimlich den Kopf. Warum stellte sich Frau Durand so an? Weil sie einmal einen Tag lang ihre Kinder hatte vermissen müssen?
Ihre Sorgen möchte ich