Rassisten& ihre Alltagssorgen
Der Pförtner schmettert mir wie gewohnt sein fröhliches „Moin“ entgegen, wie immer drücken sich die vertriebenen Raucher an den Glaswänden in der viel zu engen Entlüftungskabine im Erdgeschoss. Und beim Betreten frage ich mich wie in den vergangenen Jahren, warum der Flur des Gebäudes des kleinsten öffentlich-rechtlichen Senders so pompös ausfallen musste. Aber sonst ist nichts wie davor. Ich bin mit dem Redaktionsleiter zum ersten Mal seit dem Bekanntwerden meiner AfD-Mitgliedschaft verabredet. Zwischen den Redaktionskonferenzen, deshalb treffe ich nur auf wenige Kollegen, die mich knapp grüßen. Im Fahrstuhl beschleicht mich ein Gefühl wie nach einer Trennung und dem Ende einer Ehe: Zu Hause sieht es aus wie vorher, aber nichts ist mehr so wie es war.
Das Büro des Redaktionsleiters wiederum ist erstaunlich klein. Vermutlich blieb durch die Gestaltung des Flures nicht viel Fläche für die Arbeitsplätze der Mitarbeiter. Wie geht es nun weiter zwischen mir und dem Sender, für den ich die letzten vier Jahre gearbeitet habe? Von mir aus kann es weitergehen, gleichwohl weiß ich natürlich, dass dies nun nicht mehr möglich sein wird. Für viele Zuschauer sei ich ab sofort nicht der Reporter, sondern ein Politiker, sagt der Redaktionsleiter. Von wenigen Wochen hatte ich über die Frage berichtet, ob ein Negerkuss noch Negerkuss heißen darf. Eine dunkelhäutige Bremerin, in Afrika geboren, fand: ja. Aber wie würde die gleiche Geschichte jetzt ankommen? Als versteckte Wahlwerbung für die AfD? Er hat Recht.
Und mein Plan, die AfD zum richtigen Zeitpunkt bloßzustellen? Hinter der verschlossenen Tür spreche ich über dieses Experiment und biete an, den Redaktionsleiter auf dem Laufenden zu halten. Es ist Spätsommer, bis zur Weihnachtszeit schicke ich ihm danach Infos über meine Aktivitäten innerhalb der AfD. Wir bleiben also in Kontakt. Aber ich spüre auch seine Skepsis und beim Notar war ich auch noch nicht. Noch in den nächsten Tagen wollen sich Chefredaktion und Programmleitung des Senders entscheiden. Darf ich noch vor die Kamera? Wohl eher nicht, vermute ich bereits nach diesem Gespräch.
Bedröppelt trete ich den Heimweg an. Auf den letzten hundert Metern vor meinem Haus fährt ein roter VW-Passat. Geht plötzlich vom Gas, so dass ich bremsen muss. Dann wieder Gas, dann wieder Vollbremsung. So lange, bis ich endlich zu Hause bin. Wollte der Fahrer mich ärgern, weil ich Mitglied der AfD geworden bin? Am Abend beobachte ich durch das Fenster, wie ein grüner Kombi vor meinem Haus hält und Fotos gemacht werden. Zwei Stunden später vor meinem Haus das nächste Auto, das meinen Argwohn weckt. Einer steigt aus, macht wieder Fotos. Werden demnächst auch meine Haustür und Fenster beschmiert wie bei anderen Mitgliedern der AfD, die nicht im Verborgenen geblieben sind? Für mich wäre das ein echtes Schlamassel, denn ich kann wohl schlecht vor der Tür ein Schild aufstellen: Bitte dieses Haus verschonen, denn der Eigentümer will in Wahrheit der AfD schaden. Ich bin einer von Euch.
Nächster Vormittag, im Bremer Stadtteil Walle. In einem spanischen Restaurant bin ich mit dem AfD-Landesvorsitzenden Frank Magnitz und seiner Tochter Ann-Katrin verabredet. Bisher hat sie in Kassel Geschichte und Spanisch auf Lehramt studiert, jetzt zieht sie wieder nach Bremen und soll mit Unterstützung durch ihren Vater in eine steile Parteikarriere starten. Sie ist wie ich bereits in den Landesvorstand berufen und lässt keinen Zweifel daran, auch für den Landtag kandidieren zu wollen. Ich lerne sie hier überhaupt erst kennen, wir sitzen an einem der Außentische.
Ihr fröhliches Geplauder wird durch heftiges Brüllen unterbrochen. „Du Rassist“, schreit in meine Richtung ein junger, bärtiger Mann, der einen Kinderwagen vor sich herschiebt. „Du bist ein Rassist“, ruft er noch einmal und macht mit seinem ausgestreckten Finger deutlich, wenn er meint: mich. Nicht den örtlichen AfD-Führer, nicht sein Töchterlein – er meint mich. Rassist – das haut rein, auch wenn er die Hintergründe nicht kennen kann und ich deshalb die Beleidigung streng genommen nicht persönlich nehmen müsste. Tue ich aber doch und muss zur meiner Schande gestehen, dass ich lange gebraucht habe, diese Bezeichnung wirklich zu verstehen. Denn generell ist die AfD ja gegen alle Flüchtlinge – egal welcher Hautfarbe oder Religion.
Niemand in dieser Partei sagt öffentlich, dass Asiaten willkommen sind, Schwarzafrikaner aber nicht. Pluspunkte gibt es allenfalls für Deutsch-Russen, weil die nach ihrer Einbürgerung als Stammwähler gelten. Der junge Mann meinte es vermutlich so: Wir haben das Glück, in Deutschland und nicht in Syrien geboren zu sein. Aber dieses zufällige Glück gibt uns noch lange nicht das Recht, anderen den Zutritt zu verwehren.
Ich gerate in eine seltsame Rolle. Nach außen der aufstrebende Lokalpolitiker der AfD, nach innen ihr Gegner. Manche Freunde wissen Bescheid, manche nicht. Bei Facebook verliere ich an einem Tag ein Drittel meiner sogenannten Freunde, dafür kommen viele dazu, die gern die Nationalfahne und gelegentlich auch die Reichsflagge posten. Meine Schwester berichtet, dass ihre erwachsenen Kinder entsetzt seien, sie selbst klingt am Telefon distanziert. Ein Bekannter droht mir laut einem anderen Bekannten Prügel an, falls wir uns zufällig treffen sollten. Dann der Anruf aus der Schule meines Sohnes: Er habe im Sportunterricht den Hitler-Gruß gezeigt, so eine empörte Lehrkraft. Das ist selbstverständlich völliger Quatsch, er hatte sich nur mit dem Arm gemeldet. Nach dem Gespräch mit dem Direktor zieht sie ihren Vorwurf zurück. Die Nachhilfelehrerin meines Sohnes weigert sich, zu mir nach Hause zu kommen. Begründung: Sie habe vorher nicht gewusst, dass ich in der AfD aktiv sei. Wenn überhaupt, könne der Nachhilfeunterricht nur in ihrer Wohnung fortg