Kapitel 2
Martha
Lieber Gott, ich wünschte, ich hätte sie nie kennen gelernt.
***
Da waren wir also in unserer exklusiven Villa. Ich muss sagen, ich hätte nie gedacht, einmal in einer halb fertigen Siedlung in Essex, in der Provinz, zu landen.
Andererseits hatte ich auch nie damit gerechnet, je zu heiraten oder ein Kind zu kriegen. Noch hätte ich mir vorstellen können, einmal zwanzig zu werden, einen Busen zu bekommen oder die Periode, meinen schwarzen Lederrock wegzuwerfen, zu sterben oder aufzuhören, mir jede Folge vonNeighbours anzusehen.
Unser Haus war nicht so aufgeräumt und stilvoll eingerichtet wie das unserer Nachbarn. Bei uns ging es drunter und drüber, und nichts passte zusammen. Das Sofa war übersät mit Decken und Kissen, die Stühle bunt zusammengewürfelt, die Kissen darauf ebenso. Die Lampen und noch einiges andere aus knorriger Eiche, weil wir ursprünglich geplant hatten, ein altes Cottage drüben in Hertfordshire zu kaufen. Piglet’s Patch war mein Traumhaus. Geißblatt, Reetdach und Rosen.
Als ich im achten Monat schwanger war, gaben wir auf. Wir hatten unsere Wohnungen verkauft und brauchten ein Zuhause. Lange genug hatten wir improvisiert. Also kauften wir das Haus hier mit dem löwenzahnübersäten Rasen in einer Art Torschlusspanik. Wir hatten nicht vorgehabt, lange hier zu bleiben, doch das Leben steckt stets voller kleiner Überraschungen.
Ich hatte nicht geplant, hier Wurzeln zu schlagen, neben einem altersschwachen Maulbeerbaum. Aber lieber Gott im Himmel, weitaus bizarrer war es, von der Frau umgebracht zu werden, die ich für meine Freundin hielt.
***
Es war ein nasser und windiger Märztag, als Jennie und ich mit der dunklen Welt der Fortpflanzung Bekanntschaft machten.
Die ganze Nacht hindurch wurden die Frauen in unserem Zimmer von den Mitleid erregenden Schreien der Frauen in dem Kreißsaal nebenan wachgehalten.
Sam fuhr mich nach St. Margaret’s, als die Wehen in Abständen von fünf Minuten kamen. Nach einer Stunde wurde Scarlet geboren.
Die Natur ist schrecklich.
Die Natur tut verdammt weh.
Dieser viehische Gestank, das Blut, die Binden und die Blumensträuße der Besucher.
Sam war bei der Geburt dabei, und danach schlugen wir uns den Bauch voll mit den Hühnchensandwiches, hielten abwechselnd Scarlet im Arm und begannen uns an die Worte »unsere Tochter« zu gewöhnen. Es war so wunderbar! Sie auf ihre schwarzen, noch blutigen Haare zu küssen. Ich brauchte eine halbe Schachtel Papiertücher, um Sams stolze Tränen wegzuwischen.
Perverserweise hatte ich eine absolut unkomplizierte Geburt, während Jennie eine Zangengeburt über sich ergehen lassen musste. Ich erkannte sie wieder, als man sie am nächsten Morgen mit dem Tee in das Zimmer schob, schlapp wie ein nasser Waschlappen. Ich hatte sie schon einmal gesehen, am Vortag, als wir eingezogen waren. Ich hatte gerade die Sandwiches gemacht, damit wir nicht verhungerten. Dass wir keine Zeit haben würden, sie zu essen, hatten wir zu dem Zeitpunkt nicht geahnt.
»Ich. kenn Sie doch? Sind wir nicht Nachbarn?«
Jennies Hausschuhe, die auf ihr Nachthemd abgestimmt waren, standen neben ihrem Bett auf dem Boden. Mit weißen Rosenknospen, die für Unschuld standen. In so viel Weiß hatte sie was von einer Elfe. Sie hob den Kopf vom Kissen und sah mich an, ihr war nicht ganz klar, wo sie war und wie sie sich verhalten sollte.
Ich warf einen Blick in das Plastikbettchen neben ihr. »Super, ein Mädchen. Wir wohnen nebeneinander und werden sicher Busenfreundinnen.«
Jennie stöhnte.
»Lassen Sie Mrs. Gordon in Ruhe«, sagte die Schwester. »Sie hat einiges durchgemacht und ist völlig erschöpft.«
Natürlich ärgerte mich das. Ich ließ mich nun mal nicht gerne wie ein Kind behandelt, aber ich schaffte es, mich darüber hinwegzusetzen. Schließlich hatte ich nur ein Anliegen, so schnell wie möglich aufs Klo zu kommen, um meine Morgenzigarette zu paffen.
Als ich an Jennies Bett vorbeiging, die Zigarettenschachtel tief in Sams Morgenmantel vergraben, flüsterte sie mir mit geschlossenen Augen zu: »Das war’s. Nie wieder.«
***
Eine der ersten Geschichten, die mir Jennie erzählte, war, wie die anderen Mädchen sie in der Schule fertig machten. Ich denke, das hatte sie tief verletzt und ihr Verhalten stark geprägt.
Wir waren damals in ihrem Haus, in ihrem Schlafzimmer. Ich saß auf Grahams Betthälfte, während sie, ein Handtuch um ihre nassen Haare geschlungen, neben mir Poppy die Flasche gab, die sie zuvor sorgfältig sterilisiert hatte. Mit dem Handtuch um den Kopf sah Jennie nicht mehr ganz so aus wie eine Klosterschwester, ganz im Gegenteil, sie hatte etwas Neckisches. Mit ihrem zarten Knochenbau und der Himmelfahrtsnase erinnerte sie mich an einen Kobold.
»Warum suchten sie sich ausgerechnet mich aus?«, fragte sie mich. Diese Frage beschäftigte sie nach all den Jahren noch immer. »Ich war nicht anders als die anderen. Ich