: Walter Kaufmann
: Reisen ins gelobte Land Mit Zeichnungen von Angela Brunner
: EDITION digital
: 9783965213128
: 1
: CHF 7.00
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: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 283
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der Autor reiste bis 1980 viermal nach und durch Israel. Jede seiner israelischen Reisen wurde von einem 'anderen Walter Kaufmann' angetreten - dem Vorstoß ins Unbekannte musste die genauere Prüfung seiner ursprünglichen Erfahrungen und Haltungen folgen, und erst während seines dritten Aufenthalts war er in der Lage, zielstrebig vorzugehen, wusste er, wo er 'fündig werden würde'. Bewegte ihn schon von Anbeginn die Frage, was aus ihm geworden wäre, hätte es ihn in seiner Jugend aus Hitlerdeutschland nach Israel verschlagen, nach den Geschehnissen des Kriegssommers 83 brannte sie förmlich in ihn. Sabra und Chatila! Hätte auch er sich auf der Straße vor Saida die Schulterstücke vom Hemd gerissen, wäre auch er vor der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem in den Hungerstreik getreten oder mit einem Warnschild gegen Begin in Demonstrationen aufgetaucht - er hoffte es! Sicher aber ist, sein Weg zu Schmuel Rubinstein, Shlomo Szmelcman, Jaacov Guterman war folgerichtig. Denn seine vierte Reise in den Nahen Osten stand im Zeichen der Verbundenheit mit jenen vierhunderttausend Israelis, die sich mit ihrem Bis hierher und nicht weiter! einer kriegerischen und zugleich verhängnisvollen Entwicklung entgegengestellt hatten.

Walter Kaufmann (eigentlich Jizchak Schmeidler) wurde 1924 in Berlin als Sohn einer jüdischen Verkäuferin geboren und 1926 von einem jüdischen Anwaltsehepaar adoptiert. Er wuchs in Duisburg auf und besuchte dort das Gymnasium. Seine Adoptiveltern wurden nach der Reichskristallnacht verhaftet, kamen ins KZ Theresienstadt und wurden im KZ Auschwitz ermordet. Ihm gelang 1939 mit einem Kindertransport die Flucht über die Niederlande nach Großbritannien. Dort wurde er interniert und 1940 mit dem Schiff nach Australien gebracht. Anfangs arbeitete er als Landarbeiter und Obstpflücker und diente als Freiwilliger vier Jahre in der Australischen Armee. Nach 1945 verdiente er seinen Lebensunterhalt als Straßenfotograf, auf einer Werft, im Schlachthof und als Seemann der Handelsmarine. 1949 begann er seinen ersten Roman, der 1953 in Melbourne erschien. 1957 übersiedelte er in die DDR, behielt jedoch die australische Staatsbürgerschaft. Seit Ende der 1950er Jahre ist Walter Kaufmann freischaffender Schriftsteller. Ab 1955 gehörte er dem Deutschen Schriftstellerverband und ab 1975 der PEN-Zentrum der DDR, dessen Generalsekretär er von 1985 bis 1993 war. Er ist Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland. Walter Kaufmann war außerdem in mehreren DEFA-Filmen als Darsteller tätig, teilweise unter dem Pseudonym John Mercator. Auszeichnungen 1959: Mary Gilmore Award 1961, 1964: Theodor-Fontane-Preis des Bezirkes Potsdam 1967: Heinrich-Mann-Preis 1993: Literaturpreis Ruhrgebiet
Emigrantenschicksal Sie hatte neben mir in der Wartehalle des Bukarester Flughafens gesessen - eine auffallend schöne Frau, schlank, dunkelhaarig, mit großen, ausdrucksvollen Augen im blassen Gesicht. Ihren Blicken schien wenig zu entgehen. Obwohl sie ganz in Schwarz gekleidet war und auch die Blumen in ihrem Schoß auf Trauer schließen ließen, wirkte sie keineswegs in sich gekehrt. Es war, als probiere sie eine Rolle und beobachte gleichzeitig deren Wirkung. Ohne Zögern ließ sie sich ins Gespräch ziehen, wohl nicht nur, weil es ihr die Gelegenheit bot, ihr Englisch zu erproben, dass sie fließend, jedoch mit einem starken romanischen Akzent sprach. Nein, ihr ging es hauptsächlich darum, sich mitzuteilen. Zumindest im nachhinein will mir scheinen, dass sie der Tod ihrer an einem Krebsleiden verstorbenen Mutter, das Schicksal ihres vereinsamten Vaters, der mit seiner Frau erst ein Jahr zuvor nach Israel emigriert war, weniger als ihr eigenes Schicksal bewegten. Sie hatte sich schon vor der Ausreise gegen die Rückkehr nach Rumänien entschlossen - nicht, weil sie sich dort als Jüdin bedrängt oder benachteiligt fühlte, 'auch meine Eltern haben darüber nie geklagt', sondern weil sich ihre Hoffnung auf Heirat mit dem Mann, den sie wollte, nicht erfüllt hatte. Wegen ihm hatte sie es damals abgelehnt, mit den Eltern auszuwandern, und war weiter einer Arbeit nachgegangen, die sie nicht befriedigte - Datenverarbeitung, 'ein seelenloser Beruf!', und dann war alles umsonst gewesen. Der Mann hatte sie im Stich gelassen, hatte keine Anstalten gemacht, sie zu heiraten, nachdem ihm ein einträglicher Außenhandelsposten geboten worden war. Bald darauf nach Italien versetzt, war er dann so gut wie verschollen für sie. Als der Flug nach Tel Aviv aufgerufen wurde, verloren wir uns im Gedränge aus den Augen und sahen uns erst nach der Ankunft hinter den Sperren wieder. Sie wirkte besorgt jetzt und angespannt, bis sie bei der Auskunft erfahren hatte, dass eine Nachricht für sie vorlag, aus der hervorging, dass sie erwartet wurde. So verabschiedeten wir uns dann nach der Zollkontrolle, wohin ich ihr mit ihrem Gepäck hatte helfen können. Dass sie mir noch schnell ihren Namen und ihre Anschrift in mein Notizbuch schrieb und mich aufforderte, sie zu besuchen, zerstreute meine Zweifel an einem Wiedersehen nur wenig. Ich glaubte im Grunde kaum noch, dass sich unsere Wege je wieder kreuzen würden.