Kapitel 1
Rot glänzend lockt mich das RedPad C zum Schaufenster. Es ist früher Nachmittag, und der Laden platzt bereits aus allen Nähten. Gestern war Release Day. Seit vorgestern haben die Leute vor dem Laden gepennt, um die Ersten zu sein. Natürlich hätte man es sich auch um Punkt Mitternacht liefern lassen können, aber so ein Event zieht immer einige Nostalgiker an.
Eine Schautafel im Fenster listet die Vorzüge des RedPad C auf. Wie immer liegt der Fokus auf der Kamera, die in dem Moment auslöst, in dem man ein geeignetes Motiv gefunden hat. Quasi null Reaktionszeit.
Mich interessiert etwas anderes: Die Machine Learning Engine. Die hohe Lernfähigkeit des RedPad C ist schon jetzt legendär. Nach nur wenigen Wochen Nutzung soll es eine98-prozentige Genauigkeit haben und immer genau wissen, welche App gerade gewünscht ist.
Nie mehr Langeweile.
So zumindest der Spruch aus der Werbung. Wenn ich an all die Tage denke, in denen ich nicht wusste, was ich mit mir anfangen soll, bin ich nur zu gespannt, ob das RedPad C hält, was es verspricht. Aber dazu muss ich es mir erst mal leisten können. Immerhin kostet das Ding so viel, wie meine Mutter in einem Monat verdient – vor den Steuern.
Schweren Herzens wende ich mich von dem Schaufenster ab und setze meinen Weg fort. Ich hole mein altes B.2 raus und checke im Laufen meinen Kontostand. Mit etwas Glück kann ich Dr. Rhivani dazu überreden, dass sie mir heute etwas mehr entnimmt als gewöhnlich. Dann könnte es vielleicht schon diesen Monat für das RedPad C reichen. Zumindest, wenn ich das B.2 eintausche. Es ist zwar erst ein Jahr alt, aber zwischen dieser und der neuen Version liegen Lichtjahre.
Die Memory Transfer Clinic, kurzMTC, liegt in der Nähe einer Waldenklave. Viele Großstädte legen Wert darauf, solche grünen Taschen inmitten der Häuserschluchten zu pflegen, um das Stadtklima zu verbessern. So ist der Weg zur Klinik immer wie ein kleiner Ausflug ins Grüne. An diesem Frühsommertag erreicht mich der unverkennbare Geruch von Kiefern und Hitze. Ein eigentümlicher Duft, der mich immer an die Sommerferien erinnert, die in wenigen Wochen beginnen. Eine Waldtaube gurrt hoch oben in den Wipfeln, und zwei Eichhörnchen jagen sich lautstark durch das Geäst. Der ungepflasterte Weg knirscht unter meinen Füßen.
Schon tauchen die verglasten Wände desMTC auf, und mein Herz macht einen kleinen Hüpfer vor Freude. Beim ersten Mal war ich noch nervös, aber mittlerweile war ich so oft hier, dass ich mich schon fast wie zu Hause fühle.
Kühle Luft empfängt mich, als sich die Türen öffnen, und eine leise Melodie klingt an mein Ohr. Irgendein alter Millennial-Hit. Gemütlich schlendere ich zur Rezeption und lehne mich mit den Ellenbogen auf die Ablage. »Hey, Marleen.«
Ihre Finger tippen in wahnsinniger Geschwindigkeit über die Tastatur, und das, obwohl sie mir längst ihr Gesicht zugewandt hat. »Du schon wieder.«
Ich rolle die Augen, muss aber grinsen. Natürlich bin ich es schon wieder. Man darf nur einmal alle vierzehn Tage spenden, und mein Kalender weist mich mittlerweile schon im Voraus darauf hin, dass der Ta