Kinder psychisch erkrankter Eltern stellen eine besondere Risikogruppe dar. Wachsen Kinder in Familien auf, in denen ein Elternteil oder beide Eltern psychisch erkrankt sind, sind sie in vielfältiger Weise durch die elterliche Erkrankung betroffen und stehen unter erhöhtem Risiko, selbst eine psychische Störung zu entwickeln (vgl.Kapitel 1).
Trotz multipler Belastungen entwickeln aber nicht alle Kinder psychisch erkrankter Eltern psychische Auffälligkeiten und Störungen. Antworten darauf, warum Kinder trotz multipler Belastungen und Risikoerfahrungen nicht selbst erkranken oder die Belastungen ohne langfristige klinisch relevante Störungen überstehen und eine relativ gute Entwicklung nehmen, bieten die Erkenntnisse der Resilienzforschung (Bender& Lösel, 1998;Lenz, 2014). Das Konzept der Resilienz geht über die defizitorientierten Modelle hinaus, die lediglich Erklärungen für psychopathologische Entwicklungen liefern, und macht Aussagen darüber, warum Individuen trotz risikoreicher Bedingungen nicht erkranken, schneller wieder gesunden oder positive Entwicklungen zeigen. Die Analyse günstiger Entwicklungen oder Gesundungsverläufe sind von enormer Bedeutung sowohl für Prävention und als auch für die Behandlung von Problemen bzw. Störungen (O’Dougherty Wright, Masten& Narayan, 2013).
Die Resilienzforschung hat mittlerweile eine Vielzahl an empirischen Ergebnissen vorgelegt, die sowohl von theoretischer als auch anwendungsbezogener Bedeutung sind (O’Dougherty Wright et al., 2013). Die Untersuchung der zugrunde liegenden Prozesse hat die Entwicklung von ressourcenfördernden Interventionen vorangetrieben.
Der Begriff der Resilienz leitet sich vom englischen Wort „resilience“ (Spannkraft, Elastizität, Strapazierfähigkeit) ab und bezeichnet allgemein die psychische Robustheit und Widerstandsfähigkeit eines Individuums. Emmy Werner und ihr|29|Team (Werner& Smith, 1982;Werner, 1999) haben erstmalig in einer Längsschnittstudie diese Widerstandsfähigkeit untersucht. Resilienz wird innerhalb des Forschungsfeldes als gute (gesunde) Entwicklung trotz ernsthafter Gefährdungen für die Anpassung oder die Entwicklung verstanden (Reinelt, Schipper& Petermann, 2016). Im Mittelpunkt steht also eine positive Entwicklung unter ungünstigen, widrigen und belastenden Lebensumständen. Resilienz ist als ein hochkomplexes Zusammenspiel aus Merkmalen des Individuums und seiner Lebensumwelt zu verstehen. Folgende Charakteristika zeichnen das Konzept der Resilienz aus:
Resilienz ist keine stabile und überdauernde Persönlichkeitseigenschaft, sondern entwickelt sich prozesshaft im zeitlichen Verlauf und in den Interaktionen im sozialen Kontext über Situationen hinweg, die eine Anpassung an aversive Umgebungsbedingungen erfordern (Petermann& Schmidt, 2006).
Resilienz zeichnet sich durch ihren relativen Charakter aus. Resilienz bedeutet nicht die Abwesenheit psychischer Störungen, sondern die Fähigkeit, vorhandene Mechanismen zur Bewältigung alterstypischer Entwicklungsaufgaben trotz schwieriger Umstände zu aktivieren (Masten& Powell, 2003). So sind resiliente Kinder keine unverwundbaren, unbesiegbaren „Super-Kids“ oder „Wunderkinder“, die zu jeder Zeit mit allen Belastungen fertig werden.
Resilienz impliziert eine gewisse Spannbreite und Variabilität hinsichtlich des Ausprägungsgrades. Menschen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt ihres Lebens resilient sind, können zu einem anderen Zeitpunkt vulnerabel sein. Resilienz ist also kein zeitlich stabiles Konstrukt (Masten, 2014). Phasen erhöhter Vulnerabilität stellen auch sogenannte Entwicklungsübergänge dar. Kinder sind besonders beim Übergang vom Kindergarten in die Schule oder in der Pubertät an