Carolin war vierzehn, als sie sich zum ersten Mal verliebte.
Es war in diesem tropisch-heißen Sommer, in dem sogar Mama ihre bevorzugte Linie der hochgeschlossenen Kleider aufgab. Carolin, im Gegensatz zu ihren Altersgenossinnen noch ein Hering, bewegte sich vornehmlich im Bikini. Mama mochte Bikinis nicht. Aber in diesem Sommer verkniff sie sich jede abfällige Bemerkung über diese Art von Kleidung.
Dorothea-Julia, allgemein Dora genannt, war Carolins Schwester und Lehrerin an der Eberhard-Krüger-Schule. Junglehrerin, vierundzwanzig Jahre alt. In diesem Jahr war sie zum ersten Male allein in die Ferien gefahren, ein verwegenes Unternehmen von Dora, die sonst nur mit der Familie oder in Cliquen unterwegs war.
Mama sagte spitz:
»Sie wird schon sehen, was sie davon hat.« Und Papa brummte irgend etwas Unverständliches dazu, das sowohl Zustimmung als auch Widerspruch bedeuten konnte.
Papa machte die Hitze sehr zu schaffen, er war nicht mehr der Jüngste.
»Wir sollten auch ein paar Tage wegfahren«, sagte Mama mit Nachdruck.
»O ja!« stimmte Carolin ihr begeistert zu.
Dr. Winter, Theodor Winter, Landarzt hier auf dem Land vor Hamburg, legte die Zeitung zur Seite und griff zu seinem Glas. Seit einigen Jahren trank er nichts anderes als Mineralwasser mit gebremstem Kohlensäuregehalt. Im Winter hin und wieder einen klaren Korn, wenn er »von Tour« zurückkam, im Sommer nicht einmal ein Glas Sekt.
»Und wie stellt ihr euch das vor, meine Damen? Soll ich den Laden einfach zumachen?«
Der »Laden«, das war die Praxis, Inbegriff und Mittelpunkt allen Lebens der Familie Winter. Carolin würde, wenn sie ihr Abitur entsprechend schaffte, natürlich Medizin studieren und später »den Laden« übernehmen.
Mama schien die Hitze nach mehr als zwei Wochen nun doch ebenfalls nervlich ein wenig zu schaffen zu machen.
»Hättest du dich rechtzeitig um eine Vertretung bemüht, so könnten wir längst irgendwo am Meer liegen…«
Carolin hörte schon heraus, daß es ein sinnloses Gespräch ohne Ergebnis werden würde. Da sagte Papa: »Fahrt ihr zwei doch.«
Mama klappte den Mund auf und schnappte nach Luft.
»Allein?!« fragte sie und sah aus, als habe Papa sie kompromittiert.
»Warum nicht?«
Mama tupfte sich die Schläfen mit Eau de Cologne ab, schloß die Augen einen Moment.
»Ich nicht«, erklärte sie fest, »wenn andere Frauen das heute tun… Nun gut. Es ist ihre Sache. Ich für meine Person fahre entweder mit dir und Carolin zusammen, oder…«
»Oder?« fragte Carolin, aber sie fragte es nur, um etwas zu sagen.
»Oder gar nicht!« schloß Mama.
»Dora ist auch allein unterwegs!«
Carolin lächelte in sich hinein und bemerkte ganz leise:
»Hoffentlich!«
Mama hörte alles! Sie drehte sich ihrer Tochter zu, die mit Genuß und einem Strohhalm übersüße Limonade trank. Übrigens im Augenblick literweise.
»Wie meinst du das bitte?!«
»Nur so.«
»Das ist keine Antwort. Man wirft nicht einfach so einen Satz hin.«
»Ich warf nur ein Wort, Mama!«
»Das reichte! Also, was sollte das Wort?«
»Dora ist vierundzwanzig, Mama. Die meisten von ihren Freundinnen sind schon verheiratet.«
Frau Winter lächelte ihrer Jüngsten unvermittelt und sehr herzlich zu. Liebevoll und leise sagte sie:
»Küken, du!«
Sie lächelten sich zu, in dieser verhaltenen Zärtlichkeit, die überhaupt ihr ganzes Zusammenleben bestimmte.
»Marion sagte«, Marion war Doras Freundin und anscheinend auch Vertraute, »daß sie mit Dora in Urlaub fahren wollte, aber Dora wollte allein fahren!«
Dr. Winter nahm wieder eine Zeitung, maß die »Damen« mit einem langen Blick und verschwand hinter dem Zeitungsblatt mit der Bemerkung:
»Der Mensch braucht bisweilen das Alleinsein, Küken.