: Heinrich Mann
: Die Tote und andere Novellen
: epubli
: 9783753141671
: 4
: CHF 0.90
:
: Erzählende Literatur
: German
: 115
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der Band ?Die Tote?, erstmals erschienen 1921, versammelt mehrere Novellen des Schriftstellers Heinrich Mann: Die Tote, Der Bruder, Die Verjagten, Mnais und Ginevra, Doppelte Heimat, Der Vater, Die Ehrgeizige. Heinrich Mann, der wie so viele andere vor den Nationalsozialisten ins Exil nach Amerika floh und dessen Werke auf der Liste der verbotenen Bücher standen, ist vor allem bekannt für seine Romane ?Der Untertan? und ?Professor Unrat?.

Luiz Heinrich Mann, geboren am 27. März 1871 in Lübeck und gestorben am 11. März 1950 in Santa Monica, Kalifornien, war ein deutscher Schriftsteller aus der Familie Mann. Zu seinen bekanntesten Werken gehören ?Professor Unrat? (1905) und ?Der Untertan? (1918).

Der Bruder


Peter Scheibel blieb nach dem Tode seiner Eltern zurück als ganz verarmter Siebzehnjähriger und mit einer kleinen Schwester, die niemand hatte, als nur ihn. Er sagte sich, daß er auf der Schule und später auf der Hochschule wohl sich selbst noch würde durchbringen können, unmöglich aber ein heranwachsendes Mädchen; und ohne Säumen ging er auf die Suche nach einer bezahlten Arbeit. Er fand sie bei Fülle und Sohn, Häute, zuerst als Ausgeher, aber bald ließen sie ihn Briefe schreiben. Nach acht Jahren war er Buchhalter und hatte ein Zimmerchen für sich allein, auf einen Hof hinaus, der nicht hell war, außer im Hochsommer mußte man immer das Gas brennen. Luft und Licht fand er zu Hause; ihm dünkte es oft, kein Mensch könne zu Hause, die kurzen Stunden, in denen dies erlaubt ist, so viel Sonne und frohes Herz finden. Sie wohnten hoch über einem weiten Platz, mit elektrischen Bahnen, Obstkarren, Soldaten. Ihr kleiner Balkon trug Blumen und Änne drinnen sang. Andere hörten sie nicht von draußen, ihre Stimme war nicht stark; der Bruder aber blieb auf der Treppe stehen und hörte sie.

Sie war erwachsen in den acht Jahren unter seiner Pflege, seinen steten Gedanken, als Lohn für alle seine Mühen; aber noch blieb sie zart und unsicher, nicht nur von Gesundheit, auch in ihren Formen, Farben und in ihrer Art, das Leben zu nehmen oder es vorauszuahnen. Bei ihren wenigen Bekannten galt sie für langweilig oder hochmütig, manchmal argwöhnten sie Bosheit. Nur ihr Bruder kannte sie wirklich, er war stolz darauf, wie auf eine treu erworbene Vertrauensstellung. Ihr ward es nur leicht bei ihm. Nur bei ihr war er glücklich. Am Abend mitunter und dann, wenn sie ihm Gutenacht wünschte, sah er auf zu ihr, staunte eine Weile und nannte sie Beatrix. So hatte eine Prinzessin geheißen, in einem Buche mit bunten Bildern, das sie zusammen lasen, als er zwölf und sie fünf Jahre alt war. Damals schnitt er Ihr aus Papier den goldenen Gürtel, wie er von den Hüften der Prinzessin fiel. Wenn sie über ihrem langen Hemdchen den Gürtel hatte, hieß sie Beatrix. Ob sie ihn überzeugte? Ob er es entdeckte? Ihr eigentlicher Name und ihr Wesen, das nur er sah, waren Beatrix. Ihm blieb nichts übrig, als ihr die Rechte zu erobern, die ihr natürlich waren.

Aber noch wollte sie nichts; sie lächelte schwach und wegwerfend zu seinen Versprechungen von Kleidern und Schmuck, für künftig, wenn sie reich sein würden, wenn seine Ersparnisse den Nutzen getragen haben würden, auf den er sann. Es kam unbemerkt, sie war damals zwanzig — und als er es dann do