Zweites Kapitel.
Schon versuchte die Sonne, sich durch die dichten Vorhänge, welche das Fenster des Krankenzimmers der Aegypterin verschlossen, Bahn zu brechen, als Nebenchari noch immer an ihrem Lager saß. Bald befühlte er ihren Puls, bald bestrich er ihre Stirn und Brust mit duftenden Salben, bald starrte er träumerisch vor sich hin. Die Leidende schien nach einem Krampfanfalle in tiefem Schlummer zu liegen. Am Fußende ihres Bettes standen sechs persische Heilkünstler und murmelten Beschwörungen, während Nebenchari zu Häupten der Kranken saß und von dort aus den Asiaten, die seine überlegenen Kenntnisse anerkannten, Vorschriften diktirte.
So oft der Aegypter den Puls der Kranken berührte, zuckte er mit den Achseln, eine Bewegung, welche seine persischen Kollegen jedesmal einhellig nachahmten. Von Zeit zu Zeit öffnete sich der Vorhang des Zimmers und ließ einen blühenden Mädchenkopf sehen, dessen blaue Augen den Heilkünstler ängstlich fragend anschauten, um von ihm mit demselben bedauerlichen Achselzucken abgefertigt zu werden. Zweimal hatte sich die Fragerin, Atossa, die Schwester des Königs, den schweren Teppich von milesischem Wollengewebe kaum mit den Füßen berührend, bis an das Lager ihrer kranken Freundin geschlichen, um einen leisen Kuß auf ihre von einzelnen feuchten Perlen bethaute Stirn zu hauchen; war aber jedesmal von dem ägyptischen Arzte mit streng verweisenden Blicken in das Nebenzimmer heimgesandt worden.
Hier lag Kassandane, den Ausgang der Dinge erwartend, während Kambyses, als die Sonne aufgegangen und Nitetis in Schlummer versunken war, die Krankenstube verlassen und sich auf ein Roß geschwungen hatte, um, von Phanes, Prexaspes, Otanes, Darius und vielen aus dem Schlaf geweckten Höflingen begleitet, den Thiergarten in einem wilden Ritte zu durchmessen. Er wußte, daß er jede Gemüthsbewegung am besten auf dem Rücken eines unbändigen Hengstes sitzend überwältigen oder vergessen konnte.
Als Nebenchari den dröhnenden Hufschlag aus der Ferne vernahm, schrak er zusammen. Ihm träumte mit offenen Augen, der König ziehe mit unübersehbaren Reiterschaaren in seine Heimath, werfe Brandfackeln in ihre Städte und Tempel und zermalme mit gewaltigen Faustschlägen die Riesenbauten der Pyramiden. In dem Schutte der eingeäscherten Städte lagen Weiber und Kinder, aus den Gräbern schrieen mit klagenden Stimmen die Mumien der Verstorbenen, die sich gleich Lebenden bewegten; und Alle: Priester, Krieger, Weiber, Kinder, Todte und Sterbende, riefen seinen Namen aus und fluchten ihm, dem Verräther seines Vaterlandes. Kalte Fieberschauer durchbebten sein Herz, welches krampfhafter schlug, als die Adern der Sterbenden an seiner Seite. – Wiederum öffnete sich der Vorhang des Nebenzimmers, wiederum schlich Atossa herbei und legte ihre Hand auf seine Schulter, Er schrak zusammen und erwachte. Nebenchari hatte drei Tage und drei Nächte fast ohne jede Unterbrechung an diesem Lager gesessen. Jene Träume waren wohl berechtigt, den Uebermüdeten aufzusuchen.
Atossa schlich zu ihrer Mutter zurück. Tiefes Schweigen lagerte in der schwülen Luft des Krankenzimmers. Der Aegypter gedachte seines Traumes; er sagte sich, daß er im Begriff sei, zum Verräther und Verbrecher zu werden. Nochmals zog Alles, was er im Halbschlummer geschaut hatte, an seinen Blicken vorüber; diesmal aber drängte sich ein anderes Bild vor jene schrecklichen Gesichter. Nebenchari sah sich neben den mit Ketten belasteten Gestalten des Amasis, der ihn verbannt und verspottet, des Psamtik und der Priester, die seine Werke vernichtet hatten, stehen. Seine Lippen bewegten sich leise; sie durften an dieser Stätte den unbarmherzigen Worten, die er im Geiste seinen um Gnade flehenden Feinden zurief, keinen Ausdruck geben. Dann wischte sich der harte Mann eine Thräne aus dem Auge. Vor seiner Seele zogen die langen Nächte vorüber, in denen er, mit dem Schreiberohr in der Hand, beim matten Scheine der Lampe dagesessen und seine Gedanken und Erfahrungen, jeden Buchstaben sorglich malend, in den feinsten hieratischen Zeichen niedergeschrieben hatte. Für manche Krankheit des Auges, welche die heiligen Bücher des Toth und die Traktate eines alten hochberühmten Arztes aus Byblos unheilbar nannten, hatte er ein Rettungsmittel gefunden. Aber er wußte wohl, daß seine Amtsgenossen ihn des Frevels bezüchtigt haben würden, wenn er sich herausgenommen hätte, die geweihten Schriften verbessern zu wollen. Darum hatte er als Uebersc