: Heinz Mosmann
: Der Parzival Wolframs von Eschenbach Erkenntnis und imaginative Gestaltung des Gralsmysteriums
: Verlag Freies Geistesleben
: 9783772543586
: 1
: CHF 31.20
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: Mittelalter
: German
: 544
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Heinz Mosmanns umfassende Studie zu Wolframs 'Parzival' erschließt systematisch die rätselhafte Bilderwelt dieses großartigen mittelalterlichen Epos und führt dabei an die Grenzen eines imaginativen Verständnisses des Gralsgeheimnisses heran. Eine sehr fundierte, anschauliche Darstellung für an Kunstgeschichte, Literatur und Bewusstseinsentwicklung interessierte Leserinnen und Leser.

Heinz Mosmann, geboren 1948, studierte Germanistik, Philosophie, Slawistik und Geschichte in Frankfurt und Tübingen. Er besuchte das Anthroposophische Studienseminar und das Waldorflehrerseminar in Stuttgart und unterrichtet seit 1984 an der Waldorfschule Heilbronn Deutsch, Geschichte, Kunstgeschichte und Computertechnologie. Er war Herausgeber der Pädagogischen Vierteljahresschrift 'Kursiv' und verfasste zahlreiche Artikel. 1984 veröffentlichte er eine Studie zur Erkenntnisphilosophie Wladimir Solowjoffs.

Vom fliegenden Gleichnis


Wolfram eröffnet sein Epos mit einer Herausforderung an unsere Verständnisfähigkeit. Was gemeinhin von einem Prolog erwartet wird, etwa Angaben über den Verfasser, dessen Auftraggeber und Quellen, suchen wir hier vergebens. Chrétien de Troyes beispielsweise führt seine Erzählung mit einer Lobesrede und Danksagung an seinen fürstlichen Gönner ein und geleitet Leser oder Zuhörer freundlich und sanft zum Anfang der Geschichte hin. Anders Wolfram von Eschenbach: Der Prolog gehört sicherlich zu den schwierigsten Textpartien seines Werkes, als habe der Dichter gleich zu Anfang ein Hindernis aufbauen wollen, an dem sich die Geister scheiden. Wissenschaftlich ist jede Einzelheit endlos diskutiert worden, was in der Forschung auch zu einer kritischen Besinnung geführt hat. «Vieles von der vermeintlichen Dunkelheit geht auf das Konto der Forschung», meint Bernd Schirok, «die – um Aufklärung bemüht – manches verunklärt hat. Gerade beim Prolog ist es deshalb unerlässlich, seine Überschichtung durch die Sekundärliteratur entschieden beiseite zu räumen, ihn gewissermaßen zu ‹exhumieren›.»1

Betrachten wir nun den Text des Prologs mit unbefangenem Blick, dann kann uns zunächst auffallen, dass er durchgängig, bis in die sprachliche Form hinein, in Polaritäten aufgebaut ist. Das zweite Wort schon drückt jene Zweiheit aus, die – gewissermaßen als Urteilung – den Keimpunkt der dramatischen Entwicklung darstellt, den Zweifel (zwîvel). Der aus dem Zweifel hervorgehende Konflikt entfaltet sich zu einem zweiteiligen Bild, der Nachbarschaft von Zweifel und Herz («ist zwîvel herzen nâchgebûr»), und schließlich stehen sich erster und zweiter Vers als Bedingung und Folge gegenüber: «Ist Zweifel dem Herzen benachbart, das muss der Seele sauer werden (daz muoz der sêle werden sûr).» Denn sie droht dadurch, so können wir das Bild ergänzen, ihre individuelle – das heißt unteilbare – Wesenseinheit zu verlieren, deren Zentrum das Herz ist.

Im nun folgenden Elster-Gleichnis wird die Urpolarität von Hell und Dunkel, Licht und Finsternis ins Bild gesetzt. Damit klingt schon gleich zu Anfang jenes Grundmotiv an, das sich durch das gesamte Werk hindurchzieht und in entscheidenden Momenten in Parzivals Entwicklung in den Vordergrund tritt. So ist es das Bild von Licht und Finsternis, mit dem die Mutter dem Knaben das Wesen des Göttlichen nahebringen will und ihn so – unbeabsichtigt – an den Ausgangspunkt seines Schicksalsweges führt. Und es ist eine schwarzweiß gefleckte Gestalt, die ihm am Ende seiner Gralssuche entgegentritt und ihm das letzte Tor zum Gral erschließt.

Während die Mutter dem Knaben allerdings rät, er solle die «dunklen Furten meiden», betont der Prolog den dynamischen Aspekt, der sich daraus ergibt, dass der Mensch in die Polarität von Licht und Finsternis hineingestellt ist und sich in dieser Auseinandersetzung entwickelt. Das Licht ist ihm dabei nicht Refugium, sondern Orientierung auf dem Weg. Deshalb ist der zwîvel auch nicht etwas, das unterdrückt oder gemieden werden könnte, sondern der Schicksalsfaden führt «