: Stefan Zweig
: Die Liebe der Erika Ewald
: mehrbuch
: 9783969535677
: 1
: CHF 0.90
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: Erzählende Literatur
: German
: 300
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die Pianistin Erika Ewald verliebt sich während der Proben für ein gemeinsames Konzert in einen Geigenvirtuosen. Während ihre Liebe zunächst eher platonischer Natur ist sie erfreut sich an gemeinsamen Gesprächen und Spaziergängen , wächst in ihm das Begehren für die junge Frau. Er gesteht ihr seine Gefühle, jedoch spürt sie, dass sie für diesen Schritt noch nicht bereit ist und flieht im letzten Moment.Es folgt eine unbestimmte Zeit des Wartens, in denen beide keinen Kontakt mehr haben. Indes beginnt Erika innerlich zu reifen und fühlt sich ebenfalls körperlich zu dem jungen Künstler hingezogen. Ihr ganzes Bestreben konzentriert sich jetzt auf ein Wiedersehen mit ihm, was ihr schließlich bei dem Besuch eines seiner Konzerte gelingt. Als sie jedoch mit ihm sprechen will, sieht sie ihn höhnisch lächelnd mit einer Opernsängerin im Arm weggehen.Nach anfänglichen Todesgedanken fasst Erika den Entschluss, an ihm Rache zu üben, indem sie sich dem erstbesten Mann hingibt. Das Schicksal jedoch bewahrt sie vor diesem Schritt und lässt sie ihr Leid langsam ertragen. Sie weiß, dass sie nie wieder im Stande sein wird, einen anderen Menschen zu lieben, und führt ihr weiteres Leben in Enthaltsamkeit und berauschenden Gedanken an die Vergangenheit.

Robert Musil war ein österreichischer Schriftsteller und Theaterkritiker. Für sein literarisches Schaffen bedeutsame Einschnitte waren der Erste Weltkrieg sowie die Errichtung der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland und Österreich.

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Solche Erlebnisse erwecken oft mit ihrer jähen Gewalt ein Leid, das so furchtbar und tiefeinschneidend ist, daß man es nicht mehr als Schmerz empfindet, weil man die Fähigkeit des Begreifens und des bewußten Fühlens in seinem wilden Anpralle verliert. Man fühlt sich nur sinken, aus schwindelnden Höhen atemlos, willenlos und widerstandsunfähig herabsausen, einem Abgrunde zu, den man noch nicht kennt, den man aber ahnt, näher, näher und immer näher kommen fühlt mit jeder Sekunde, mit jeder verschwindend kleinen Zeiteinheit, die im wirbelnden Sturze verfliegt, jenem furchtbaren Ende zu, von dem man weiß, daß es zerschmettern und zerbrechen wird.

Erika Ewald hatte schon zu viel kleine Leiden ertragen, um einem großen Ereignis ruhig ins Auge sehen zu können. Jene kleinen Schmerzlichkeiten hatten ihr Leben erfüllt, die ein seltsames Glückseligkeitsgefühl in sich tragen, weil sie zu melancholischen, träumerischen Stunden leiten, zu sanften Verzagtheiten und zu jenen süßen Traurigkeiten, aus denen die Dichter ihre innigsten und wehmütigsten Verse schaffen. Aber sie hatte in jenen Stunden schon die mächtige Pranke des Schicksals zu verspüren geglaubt, und es war doch nur ein verrinnender Schatten seiner drohend ausgereckten Hand. Sie hatte gemeint, die finstere Gewalt des Lebens schon getragen zu haben und auf dieses Bewußtsein baute sie ihre starke Sicherheit, die jetzt zusammenbrach unter der Wirklichkeit wie ein Kinderspielzeug in einer nervigen Faust.

Und darum verlor ihre Seele so ganz ihre bindenden Kräfte. Das Leben kam zu ihr wie ein Hagelschauer, der Saaten und Blüten zerbricht. Nur mehr Öde war vor ihren Blicken und Finsternis, weite undurchdringliche Finsternis, die alle Wege versteckte, alle Blicke erblindete und die hallenden Angstrufe mitleidslos verschlang. Nur mehr Schweigen war in ihr, ein dumpfes, atemloses Schweigen, die Stille des Todes. Denn viel war in ihr gestorben in einem einzigen Augenblick: ein helles heiteres Lachen, das noch nicht geboren war, aber in ihr Leben wollte, wie ein Kind, das zum Lichte strebt. Und viel Jugend, jenes sehnsüchtige Empfangenwollen, das der Zukunft vertraut und Freude und Glanz hinter allen verschlossenen Pforten ahnt, die ihr Verlangen sich eröffnen soll. Und viel lautere und weltvertrauende Empfindungen, das Sichhingeben an alle Menschen und an die große Natur, die nur Feste und Wunder ihren gläubigen Schülern offenbart. Und endlich eine Liebe, die unendlich reich gewesen war, weil sie in den dunklen Quellen des Schmerzes sich gebadet hat und durch wechselnde Gestalten gegangen ist, um die Vollkommenheit zu finden.

Aber auch eine neue Saat war in dieser Enttäuschung, ein bitterer Haß gegen alles, was sie umgab und ein heißes Rachebedürfnis, das noch nicht wußte, wie es sich Bahn brechen sollte. In ihren Wangen brannte die Schmach, und ihre Hände bebten, als müßten sie jeden Augenblick losfahren in zorniger Gewalt gegen irgend etwas. Die Schwächlichkeit und Scham war von ihr gewichen, die drängende Macht des Handelns wurde immer deutlicher und unruhiger in ihr; ein Wesen, das sich vom Schicksal immer hatte formen und lenken lassen, wollte ihm nun entgegengehen und mit ihm ringen.

Und dieser ziellose ungebärdige Trieb ließ sie in den Gassen irren, ohne einen Entschluß. Die Wirklichkeit lag in weiter, weiter Ferne. Sie wußte nicht, wohin sie ging, in ihren Füßen war bleierne Müdigkeit, aber auch eine irre Bewegung, die sie weiter stieß. Immer mehr hüllte sie sich in ihre Gedanken, um den Schmerz, der jetzt wach werden wollte, wegzudenken und ihn im raschen Gehen zu vergessen; doch sie spürte einen Druck von Tränen, die noch nicht hervorbrechen konnten, aber innen brannten und tropften.......

Auf einmal s