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Die Vertraulichkeit zwischen Wolf Larsen und mir nimmt zu – wenn man mit Vertraulichkeit Beziehungen zwischen Herrn und Diener oder besser noch zwischen König und Hofnarr bezeichnen kann. Ich bin ihm nichts als ein Spielzeug, und er schätzt mich nicht mehr als ein Kind das seine. Meine Aufgabe ist, ihn zu unterhalten, und solange ich das tue, ist alles gut; langweile ich ihn aber oder überkommt ihn eine seiner düsteren Launen, so werde ich sofort wieder vom Kajütentisch in die Kombüse gejagt und muß mich noch glücklich preisen, wenn ich mit dem Leben und mit heilen Gliedern davonkomme.
Allmählich erkenne ich immer mehr die Einsamkeit des Mannes. Nicht einer an Bord, der ihn nicht haßt und fürchtet, nicht einer, den er nicht verachtet. Die ungeheure Kraft, die in ihm ruht und nie eine würdige Verwendung gefunden hat, scheint ihn zu verzehren. So würde Luzifer sein, wäre der stolze Geist zur Gesellschaft seelenloser, langweiliger Geister verbannt. Die Einsamkeit ist schon schlimm an sich, noch schlimmer aber ist, daß ihn die ursprüngliche Schwermut seiner Rasse bedrückt. Seit ich ihn kenne, verstehe ich die alten skandinavischen Mythen besser. Die weißhäutigen, blonden Wilden waren aus demselben Stoff gemacht wie er. Die Leichtfertigkeit lachlustiger Lateiner hat keinen Teil an ihm. Lacht er, so ist es nur eine Laune, nichts als reißende Wildheit. Aber er lacht selten; zu oft ist er schwermütig. Und es ist eine Schwermut, die ebenso tief wurzelt wie seine Rasse selbst. Sie ist ihr Erbteil, diese Schwermut, die sein Geschlecht nüchtern, rein und fanatisch sittsam gemacht, und die in ihrer letzten Ausstrahlung ihren Höhepunkt in der reformierten Kirche der Engländer gefunden hat.
In der Tat: die Religion in ihren düstersten Formen war die letzte Folgerung dieser Schwermut. Aber der Ersatz, den eine solche Religion schenkt, ist Wolf Larsen versagt. Sein brutaler Materialismus läßt keinen Raum dafür. So bleibt ihm, wenn ihn seine düstere Stimmung überkommt, nichts übrig, als teuflisch zu sein. Wäre er nicht ein so entsetzlicher Mensch, ich könnte zuweilen Mitleid mit ihm haben, wie zum Beispiel vor drei Tagen, als ich morgens überraschend in seine Kajüte trat, um die Wasserflasche zu füllen. Er sah mich nicht. Sein Kopf war in den Händen vergraben, seine Schultern zuckten krampfhaft, und als ich mich leise zurückzog, hörte ich ihn stöhnen: »Gott! Ach Gott!« Nicht etwa, daß er Gott angerufen hätte, es war ein Wort, das an niemand gerichtet war, ihm aber aus tiefster Seele kam.
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