1. KAPITEL
Vielleicht hätte ein klügerer Mann ihre Telefonnummer gesperrt.
Weston Rivera umklammerte sein Handy, während er aus dem Arbeitszimmer ins tiefer gelegene Wohnzimmer hinüberging. Er wusste, dass er nicht so tun konnte, als hätte er die WhatsApp-Nachricht einer gewissen sexy Privatdetektivin übersehen. Dabei musste er ihr unbedingt aus dem Weg gehen.
Draußen wurde es bereits dunkel, aber durch die bodentiefen Fenster konnte er in der Ferne noch schwach die Umrisse der Bitterroot Mountains erkennen. Die zerklüfteten Gipfel waren teilweise von aufziehenden Sturmwolken verhüllt.
Leise fluchend starrte er noch einmal die Nachricht auf dem Display an.
Irgendwelche Tipps für eine Wanderung den Northeast Couloir rauf? Habe gerade mein Lager aufgeschlagen, hoffe aber, morgen den Gipfel zu erreichen.
Hatte er Tipps?
Als erfahrener Kletterer und ehrenamtlicher Bergretter hatte er in der Tat einen guten Rat für April Stephens, die höchst attraktive Finanzermittlerin, die derzeit als ungebetener Gast auf der Mesa Falls Ranch logierte. Mitten im Winter hätte sie niemals allein eine derart anspruchsvolle Wanderung in Angriff nehmen sollen. Schon gar nicht bei dem Wetter, das sich da draußen zusammenbraute.
Leider hatte sie ihn nicht gefragt,bevor sie sich auf den Berg gewagt hatte.
Er hatte geglaubt, er sei April endgültig los. Als sie ihn neulich im Ranchbüro in die Enge getrieben hatte, hatte er ihr unmissverständlich klargemacht, dass er sich nicht zu ihren Ermittlungen über Alonzo Salazars Finanzen äußern würde. Salazar war oft zu Gast auf der Ranch gewesen, die Weston, seinem Bruder und vier anderen Partnern gehörte. Er war ihnen allen Mentor und Freund gewesen, seit in ihrer Jugend einer ihrer Klassenkameraden bei einem entsetzlichen Unfall ums Leben gekommen war. Weston würde sich nicht an Spekulationen darüber beteiligen, was Salazar mit seinem Geld angestellt hatte. Loyalität war ihm wichtig.
Doch er hatte die Nummer der Detektivin nicht gesperrt. Deshalb hatte sie ihm eine WhatsApp schicken können.
Wollte sie ihn aus der Reserve locken, um wieder mit ihm ins Gespräch zu kommen? Oder dachte sie ernsthaft daran, den Berg zu besteigen? Von einem der Fremdenführer hatte er gehört, dass sie nach ihrer Ankunft in einem Laden für Outdoorbedarf gewesen war. Es wunderte ihn nicht, dass sie in die Berge wollte. Aber im Winter war schon ein Tagesausflug dorthin anstrengend genug.
Fluchend ließ er sich auf das Ledersofa am Kamin fallen. Ein Scheit knackte im Feuer. Funken flogen gegen den Kaminschirm. Was sollte er antworten? Er wollte nicht, dass April im Dunkeln allein wieder vom Berg hinunterstieg. Aber das Wetter wurde jede Minute schlechter. Es war riskant, die Nacht dort oben zu verbringen. Er wusste, dass er übervorsichtig war, wann immer andere in Gefahr waren, obwohl er selbst gern Risiken einging. Wahrscheinlich lag das an der Tragödie, die sein Schicksal vor über einem Jahrzehnt mit dem von Alonzo Salazar verbunden hatte.
Wo sind Sie?
Heftiger als nötig tippte er die Worte ins Handy und wusste jetzt schon, wohin dieses Gespräch führen würde.
Sie antwortete mit einem Link. Kartenkoordinaten, wie jede gute Wanderin sie benutzte, zeigten ihre exakte Position.
Seine Beklemmung ließ nach. April war offenbar erfahren. Sie wusste, wie wichtig es war, jederzeit ihren genauen Aufenthaltsort zu kennen. Aber als er die Karte heranzoomte, schnürte sich ihm sofort wieder die Kehle zu.
Und das sogar stärker als zuvor.
Denn April campte nicht an einem sicheren Ort am Gem Lake oder am Baker’s Lake. Stattdessen war sie dire