: Hermann Stresau
: Peter Graf, Ulrich Faure
: Von den Nazis trennt mich eine Welt Tagebücher aus der inneren Emigration 1933-1939
: Klett-Cotta
: 9783608120868
: 1
: CHF 17.10
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: Briefe, Tagebücher
: German
: 448
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die literarische Wiederentdeckung: der hellsichtige Blick eines Intellektuellen auf die Jahre 1933-1939 »Es war vor allem nicht leicht, inmitten eines grandios aufgeblähten Machtsystems zu leben, inmitten eines geistigen Terrors, einer phantastischen Lügenhaftigkeit, innerlich abseits, bemüht, sich nicht blenden zu lassen, auch nicht von scheinbaren Vorzügen und Erfolgen.« Hermann Stresau arbeitet als Bibliothekar in Berlin, als 1933 die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten erfolgt. In seinen Tagebüchern, die der in Amerika geborene Intellektuelle mit der Machtergreifung wieder aufnimmt, entfaltet sich ein intimes Bild der Vorkriegszeit. Ausnehmend klarsichtig schildert er, wie die neuen Machthaber mit der ihnen eigenen Mischung aus geschickt eingesetzter Propaganda, inszenierten Machtdemonstrationen, der skrupellosen Ausübung von Gewalt und einer gut organisierten Bürokratie die Herrschaft absicherten und Stück für Stück ausweiteten. Doch genauso sehr interessiert sich Stresau für sein Umfeld. Reflektiert beschreibt er das Verhalten derjenigen, die sich aus Überzeugung oder Karrieregründen dem System andienen, schildert das Mitläufertum ebenso wie die Gedanken der ihm Gleichgesinnten, die sich den neuen Verhältnissen verweigern. So entsteht ein unvergleichliches Zeitpanorama und Psychogramm der Deutschen. Die Tagebücher wurden von den Herausgebern Peter Graf und Ulrich Faure wiederentdeckt und reichen von 1933-1945. Ein zweiter Band, der die Kriegsjahre umfasst, erscheint im Herbst 2021. Die Herausgeber Peter Graf und Ulrich Faure zur Editionsgeschichte Die Originaltagebücher Hermann Stresaus werden gemeinsam mit seinem weiteren Nachlass im Literaturarchiv Marbach verwahrt. Es sind schmucklose schwarze Kladden, in die er handschriftlich seine Beobachtungen und Gedanken niedergeschrieben hat. Aber wer darin zu lesen beginnt, spürt sofort, dass dies keine rein privaten Aufzeichnungen sind; hier möchte jemand die Ereignisse zwischen 1933 und 1945 für die Nachwelt festhalten und Zeugnis ablegen. Und so veröffentlichte Hermann Stresau bereits 1948 unter dem Titel »Von Jahr zu Jahr« eine Auswahl seiner Tagebuchnotizen im Berliner Minerva Verlag. Zu früh, denn so kurz nach dem Krieg stießen seine Erinnerungen auf kein großes Echo. Und vielleicht kann dieses bedeutende literarische Zeitdokument auch erst mit dem heutigen Abstand von mehr als 80 Jahren gewürdigt werden. Die vorliegende Ausgabe vereint in einem ersten Band alle Eintragungen Stresaus und kommentiert sie, auch jene, die er in seiner Erstveröffentlichung aus Platzgründen weggelassen hat. Peter Graf, Ulrich Faure, Herbst 2020

Hermann Stresau, geboren am 19. Januar 1894 in Milwaukee, wuchs in Frankfurt am Main auf. Ab 1912 studierte er Germanistik und war zwischen 1929 und 1933 als städtischer Bibliothekar in Berlin tätig. Nach seiner Entlassung durch die Nationalsozialisten arbeitete er als Schriftsteller, Lektor, Kritiker und Übersetzer und wurde zu einem angesehenen Intellektuellen der Nachkriegszeit. Davon zeugen unter anderem seine Mitgliedschaft in der Akademie für Sprache und Dichtung sowie das Ehrenpräsidentenamt des Schriftstellerverbandes Niedersachsen.

30.9.​33


Preußens Entwurf zum neuen Strafgesetzbuch[21] sieht Bestimmungen zum Schutz der Rasse vor, die den Juden mit Negern und anderen Farbigen gleichstellen. Nicht nur, daß Ehen mit »Farbigen« unmöglich gemacht werden, schon der Verkehr, insbesondere der geschlechtliche Verkehr mit ihnen ist strafbar. Neues willkommenes Futter für Denunzianten. Die Unmenschlichkeit und Gemeinheit dieses Entwurfs – der ja nur auf die Juden abzielt, da es sonst kaum »Farbige« bei uns gibt – enthüllt sich erst recht bei Betrachtung konkreter Möglichkeiten der deutschen Juden oder von Mischlingen, die damit zu Parias werden. Davon abgesehen: der Wahnwitz wäre auch wert, vom antisemitischen Standpunkt aus angesehen zu werden. Eine künstliche und gewaltsame Ghettoisierung der Juden, die schon Schlimmeres überstanden haben, würde eine erneute Nationalisierung bedeuten, die durch die alte Traditionskraft des Judentums gestärkt und befördert werden könnte. Das Judentum könnte daraus Konsequenzen ziehen, wenn es die alte Kraft bewiese. Ich denke an die Rede, die Arnold Zweig im vorigen Jahre hielt und die wir in jener Versammlung Berliner Juden angehört haben: es war ein tiefer Eindruck für uns beide, als Zweig von dem religiösen Rückhalt des Judentums sprach. Und darüber wird sich doch niemand täuschen außer jenen blinden Maulwürfen, die dies Gesetz vom heiligen Ungeist des Rassengottes empfingen, daß hier zwei Gegner miteinander zu tun hab