: Kazuo Ishiguro
: Der Maler der fließenden Welt Roman
: Karl Blessing Verlag
: 9783641280741
: 1
: CHF 2.70
:
: Erzählende Literatur
: German
: 256
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
In den 1930er-Jahren hat der Maler Masuji Ono seine Kunst in den Dienst der japanischen Expansionspolitik gestellt. Jetzt, nach dem Krieg, ist sein damaliger Patriotismus anrüchig geworden, und als seine Tochter heiraten will, wird seine politische Vergangenheit zur Belastung für die Familie. Seine Lebensbeichte offenbart ein heilloses Geflecht von Schuld und Irrtum und ist ein Läuterungsprozess, nach dem er nicht mehr derselbe sein wird wie zuvor. Kazuo Ishiguros eindringlicher, meisterhaft erzählter Roman über einen Künstler, der mit seiner Vergangenheit ringt, lässt das vom Krieg zerrüttete Japan der Nachkriegszeit wieder aufleben, ein Land im Umbruch, in dem verschiedene Lebensweisen um die Vorherrschaft kämpfen und ein Volk zwischen Tradition und Moderne nach einem neuen Lebenssinn sucht.

Kazuo Ishiguro, 1954 in Nagasaki geboren, kam 1960 nach London, wo er später Englisch und Philosophie studierte. 1989 erhielt er für seinen Weltbestseller »Was vom Tage übrigblieb«, der von James Ivory verfilmt wurde, den Booker Prize. Kazuo Ishiguros Werk wurde bisher in 50 Sprachen übersetzt. Er erhielt 2017 den Nobelpreis für Literatur. Der Autor lebt in London.

VORWORT

Ich begannDer Maler der fließenden Welt im September 1981 in einer Kellerwohnung im Londoner Shepherd’s Bush. Ich war sechsundzwanzig Jahre alt. Mein erster RomanDamals in Nagasaki wurde zwar gerade zur Veröffentlichung vorbereitet, aber zu dem Zeitpunkt gab es für mich keinerlei vernünftigen Grund, davon auszugehen, ich hätte ein Leben als Vollzeitschriftsteller vor mir.

Lorna und ich waren in jenem Sommer nach London zurückgekehrt (wir hatten zuvor in Cardiff gelebt), wir hatten neue Jobs in der Hauptstadt, aber noch keine Wohnung gefunden. Wenige Jahre zuvor waren wir beide Teil eines losen Netzwerks von jungen, links gerichteten, alternativen Leuten gewesen, die in der Gegend von Ladbroke Grove und Hammersmith in Wohnungen mit kurzen Mietverträgen lebten und für gemeinnützige Projekte oder Aktionsgruppen arbeiteten. Heute erscheint es seltsam, wie sorglos wir waren, als wir in jenem Sommer in der Stadt auftauchten und darauf vertrauten, wir könnten, bis wir eine passende Wohnung aufgetan hätten, in der einen oder anderen Hausgemeinschaft unterkommen. Wie sich herausstellte, passierte nichts, was unsere Gelassenheit herausgefordert hätte, und schon bald fanden wir eine kleine Untergeschosswohnung direkt an der belebten Goldhawk Road.

Die Wohnung lag neben den Tonstudios der damals angesagten Virgin Records, und oft sahen wir große langhaarige Männer Equipments in das fensterlose, bunt bemalte Gebäude hinein- und von dort hinausschleppen. Doch die Schalldämmung war beispielhaft, und wenn ich an unserem Esstisch saß, den winzigen Garten im Rücken, befand ich mich in einer Umgebung, die sich zum Schreiben bestens eignete.

Lorna hatte bei Weitem den längeren Weg zur Arbeit, zu ihrer neuen Stelle als Sozialarbeiterin bei der Gemeinde Lewisham am anderen Ende der Stadt. Meine Arbeit lag nur einen Steinwurf entfernt – ich war »Helfer für Wiedereingliederung« bei den West-Londoner Cyrenians geworden, einer hoch angesehenen Organisation, die mit Obdachlosen arbeitet. Wir trafen eine Vereinbarung, um die Sache gerechter zu gestalten: Wir würden jeden Morgen gemeinsam aufstehen, und wenn Lorna zur Tür hinausginge, würde ich mich an den Tisch setzen und meine frühmorgendlichen neunzig Minuten schreiben, ehe ich zu meiner eigenen Arbeit aufbräche.

Viele großartige Werke sind von Schriftstellern geschaffen worden, die einem herausfordernden Beruf nachgingen. Doch ich war immer erbärmlich, nahezu krankhaft unfähig, meine Aufmerksamkeit aufzuspalten, und jene Wochen, in denen ich mich bemühte, am Esstisch zu schreiben, während die Sonne langsam höher stieg und unser Untergeschoss mit Licht erfüllte, sind bis heute mein einziger Versuch geblieben, »Teilzeitautor« zu sein. Das war nicht unbedingt ein Erfolg. Ich ertappte mich dabei, dass ich auf die weißen Blätter starrte und gegen das dringende Bedürfnis ankämpfte, mich wieder ins Bett zu legen. (Mein Tagesjob forderte mich rasch intensiv und zwang mich oft, bis spät in die Nacht zu arbeiten.) Daran änderte auch Lornas Beharrlichkeit nichts, dass ich jeden Tag mit einem absonderlichen Frühstück beginnen sollte, das aus gruselig grobkörnigen Ballaststoffen bestand, über die Hefe und Weizenkeime gestreut wurden – eine Mischung, die bewirkte, dass ich mich manchmal auf meinem Stuhl zusammenkrümmte. Und dennoch geschah es während dieser Stunden, dass mir der