: Dr. Christian Hardinghaus
: Die Spionin der Charité Roman
: Europa Verlag GmbH& Co. KG
: 9783958902664
: 1
: CHF 10.60
:
: Erzählende Literatur
: German
: 256
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Bern, 20. Juli 1974: Die 56-jährige Lily Kolbe zerreißt wütend die Zeitung, die über die heute stattfindenden Gedenkfeiern zum gescheiterten Attentat auf Hitler vor 30 Jahren berichtet. Sie kann es kaum ertragen, dass an ihren Mann Fritz Kolbe und ihren ehemaligen Chef Ferdinand Sauerbruch nie erinnert worden ist. Die acht Mitglieder der bis heute unbekannten Widerstandsgruppe 'Donnerstagsclub' hatten sich nach dem Krieg geschworen, alles geheim zu halten. Lily will das Schweigen jetzt brechen. Sie greift zum Telefon und ruft Eddie Bauer, einen Journalisten der 'New York Times', an: 'Ich bin bereit zu reden. Kommen Sie in die Schweiz! Sofort!' Die einstige Chefsekretärin Sauerbruchs erzählt Bauer von den stillen Helden der Charité, die sich 1941 dazu entschließen, Nazi-Patienten auszuspionieren und ihren Tod, wenn nötig, zu beschleunigen. Als Lily 1943 beauftragt wird, den Mitarbeiter des Außenministeriums Fritz Kolbe zu bespitzeln, verliebt sie sich und kann ihn für den Widerstand gewinnen. Eine Zeit geht alles gut, doch bald häufen sich Besuche der Gestapo in der Klinik. Gibt es einen Verräter innerhalb der Gruppe? Die Lage spitzt sich nach dem 20. Juli 1944 dramatisch zu. Der Chef des Sicherheitsdienstes Ernst Kaltenbrunner überwacht persönlich die Charité. Als er versteckte Juden aufspürt, droht der Club endgültig aufzufliegen ... Journalist Bauer kann nicht fassen, welch brisante Informationen er bekommt. Bald jedoch interessieren sich auch andere dafür. Als Lily eine Wanze in ihrem Telefon entdeckt, kann sie selbst Bauer nicht mehr trauen.

Dr. phil. Christian Hardinghaus, geb. 1978 in Osnabrück, promovierte nach seinem Magisterstudium der Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft (Film und TV) an der Universität Osnabrück im Bereich Propaganda- und Antisemitismusforschung und schloss danach ein Studium des gymnasialen Lehramtes mit dem Master of Education in der Fachkombination Geschichte/Deutsch ab. Seine historischen Schwerpunkte liegen in der Erforschung des NS-Systems und des Zweiten Weltkriegs. Er veröffentlicht sowohl Sachbücher als auch Romane.

PROLOG


Lily ringt nach Luft, ihr Puls hämmert gegen ihre Schläfen. Sie rennt so schnell wie nie zuvor in ihrem Leben. Das Gesicht verschmiert von Schweiß und Tränen, hastet sie durch den zerbombten, dunklen Tiergarten. Nur der helle Schein des Mondes weist ihr den Weg zwischen den Bombenkratern und umgestürzten Bäumen hindurch. Obwohl Lily längst am Ende ihrer Kräfte ist, hört ihr Kopf nicht auf zu rattern. Sie will nicht glauben, dass Fritz hier nie wieder entlanglaufen wird. Nicht einmal den Mond wird er je wiedersehen. Und sie ist schuld daran, sie hat ihren Freund angeworben für den Widerstand. Den Widerstand, den Graf von Stauffenberg heute Mittag verpatzt hat. Warum hat er nicht auf Professor Sauerbruch gehört? Der hatte ihm doch klar genug gesagt, dass man Hitler nicht töten kann, wenn man dafür nur ein Auge und einen Arm zur Verfügung hat. Jetzt würde nicht der Führer sterben, sondern all diejenigen, die ihn hatten umbringen wollen. Fritz, ich komme! Bestimmt ist Stauffenberg die Aktentasche, in der sich die Bombe befand, einfach runtergefallen. Wie sollte er die auch festhalten, mit nur drei gesunden Fingern? Wie hatten sie alle so blöd sein können?

Lily erkennt das Licht der Straßenlaternen nur verschwommen. Sie rennt durch den Parkausgang auf die Friedrich-Wilhelm-Straße. An der nächsten Ecke steht das Krad, genau wie angekündigt. Der Motor läuft, die Scheinwerfer sind eingeschaltet.

»Sie sind Fräulein Hartmann?«, fragt der Fahrer, als Lily in den Beiwagen steigt.

»Ja«, keucht Lily, die kaum noch Luft zum Sprechen hat. »Fahren Sie los!«

Der Soldat in grünem Gummimantel, mit Stahlhelm auf dem Kopf und Schutzbrille vor den Augen, tritt zweimal ruckartig das Pedal und dreht am Gashebel. Aus dem Auspuff knallt es, der Motor heult auf. Beim scharfen Anfahren wird Lily mit voller Wucht in den Korbsitz gepresst. Sie muss sich mit beiden Händen an den Metallgriffen festklammern, um nicht hinausgeschleudert zu werden. Das Krad rast die Admiral-von-Schröder-Straße entlang. Zu beiden Seiten der Straße stehen k