PROLOG
Lily ringt nach Luft, ihr Puls hämmert gegen ihre Schläfen. Sie rennt so schnell wie nie zuvor in ihrem Leben. Das Gesicht verschmiert von Schweiß und Tränen, hastet sie durch den zerbombten, dunklen Tiergarten. Nur der helle Schein des Mondes weist ihr den Weg zwischen den Bombenkratern und umgestürzten Bäumen hindurch. Obwohl Lily längst am Ende ihrer Kräfte ist, hört ihr Kopf nicht auf zu rattern. Sie will nicht glauben, dass Fritz hier nie wieder entlanglaufen wird. Nicht einmal den Mond wird er je wiedersehen. Und sie ist schuld daran, sie hat ihren Freund angeworben für den Widerstand. Den Widerstand, den Graf von Stauffenberg heute Mittag verpatzt hat. Warum hat er nicht auf Professor Sauerbruch gehört? Der hatte ihm doch klar genug gesagt, dass man Hitler nicht töten kann, wenn man dafür nur ein Auge und einen Arm zur Verfügung hat. Jetzt würde nicht der Führer sterben, sondern all diejenigen, die ihn hatten umbringen wollen. Fritz, ich komme! Bestimmt ist Stauffenberg die Aktentasche, in der sich die Bombe befand, einfach runtergefallen. Wie sollte er die auch festhalten, mit nur drei gesunden Fingern? Wie hatten sie alle so blöd sein können?
Lily erkennt das Licht der Straßenlaternen nur verschwommen. Sie rennt durch den Parkausgang auf die Friedrich-Wilhelm-Straße. An der nächsten Ecke steht das Krad, genau wie angekündigt. Der Motor läuft, die Scheinwerfer sind eingeschaltet.
»Sie sind Fräulein Hartmann?«, fragt der Fahrer, als Lily in den Beiwagen steigt.
»Ja«, keucht Lily, die kaum noch Luft zum Sprechen hat. »Fahren Sie los!«
Der Soldat in grünem Gummimantel, mit Stahlhelm auf dem Kopf und Schutzbrille vor den Augen, tritt zweimal ruckartig das Pedal und dreht am Gashebel. Aus dem Auspuff knallt es, der Motor heult auf. Beim scharfen Anfahren wird Lily mit voller Wucht in den Korbsitz gepresst. Sie muss sich mit beiden Händen an den Metallgriffen festklammern, um nicht hinausgeschleudert zu werden. Das Krad rast die Admiral-von-Schröder-Straße entlang. Zu beiden Seiten der Straße stehen k