ÜBER DIE GASTFREUNDSCHAFT
Der alte Mann kam heraus in den Garten.
Raeseng stellte das Zielfernrohr scharf und zog den Repetierhebel zurück. Die Patrone sprang mit lautem Klicken in die Kammer. Raeseng sah sich um. Abgesehen von den hohen Tannen, die sich in den Himmel reckten, rührte sich nichts. Kein Vogel flatterte auf, kein Insekt summte. Bei der Stille würde der Knall eines Schusses weit tragen. Was, wenn jemand ihn hörte und angelaufen käme? Er schob den Gedanken weg. Darüber brauchte er sich den Kopf nicht zu zerbrechen. Schüsse waren nichts Besonderes hier draußen. Die Leute würden annehmen, es seien Wilderer auf der Wildschweinjagd. Wer verschwendete schon seine Zeit damit, tief in den Wald zu stapfen, um einem einzelnen Schuss auf den Grund zu gehen? Raeseng betrachtete den Berg im Westen. Die Sonne stand eine Handbreit über dem Höhenkamm. Er hatte noch Zeit.
Der alte Mann begann, seine Blumen zu gießen. Manche bekamen einen großen Schluck Wasser, andere nur ein paar Tropfen. Es sah fast zeremoniell aus, wie er die Gießkanne neigte, als serviere er ihnen Tee. Ab und zu schienen die Schultern anzudeuten, dass er tanzte, dann wieder liebkoste er kurz eine Blüte. Er deutete auf eine Blume und lachte leise. Es sah aus, als unterhalte er sich mit ihr.
Raeseng justierte die Schärfe nach und betrachtete die Blume, mit der der alte Mann sprach. Sie kam ihm bekannt vor; er musste sie schon einmal gesehen haben, aber er wusste den Namen nicht mehr. Er versuchte, sich zu erinnern, welche Blumen im Oktober blühten – Cosmeen? Zinnien? Chrysanthemen? –, aber keiner dieser Namen passte zu der, die er vor sich hatte.
Warum konnte er sich nicht erinnern? Stirnrunzelnd durchforschte er sein Gedächtnis nach einem Namen, aber bald vertrieb er auch diese Gedanken aus seinem Kopf. Es war eine Blume. Was sollte daran wichtig sein?
Ein riesiger schwarzer Hund kam vom anderen Ende des Gartens herüberspaziert und rieb den Kopf am Oberschenkel des alten Mannes. Ein reinrassiger Mastiff. Ein Tier, wie Julius Cäsar es von seiner Eroberung Britanniens mitgebracht haben könnte. Ein Hund, mit dem die alten Römer Löwen gejagt und Wildpferde zusammengetrieben hatten. Der alte Mann tätschelte ihn, und der Hund strich ihm um die Bein