Es ist ein bisschen wie Woodstock. Das ist das Gefühl, das viele Menschen ergreift, die sich an diesem kühlen, frühherbstlichen Sonnabend im Bonner Hofgarten versammeln. Es ist grau und bewölkt, gelegentlich gehen kurze Schauer nieder, aber von den sintflutartigen Regenfällen, die dereinst das Woodstock-Festival verheerten, ist das Wetter an diesem Tag weit entfernt. Dreihunderttausend Menschen sind hier zusammengekommen, am 10. Oktober 1981, um für den Weltfrieden zu demonstrieren, für «Peace, Love and Harmony»: ganz wie die Hippies und Blumenkinder zwölf Jahre zuvor bei ihrem großen Stammestreffen am Ende der bürgerrechtsbewegten Sechziger. Damals war es eine halbe Million, die sich etwas nördlich von New York auf den Feldern des Bauern Max Yasgur versammelte, um Musik zu hören und Drogen zu nehmen, um gegen den Vietnamkrieg zu protestieren und gegen die ungerechte Verfassung der Welt im Ganzen. Die Verhältnisse waren chaotisch, viele blieben in ihren Autos schon auf den überfüllten Straßen zum Festivalgelände stecken, und wer ankam, hatte oft kaum die Gelegenheit, einen Blick auf die Bühnen zu erhaschen.
In der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1981 ist alles besser organisiert, um nicht zu sagen: perfekt. Die demonstrationswilligen Massen werden in Sonderzügen der Deutschen Bundesbahn oder in Bussen in die Bundeshauptstadt Bonn gebracht, dort bewegen sich die Demonstranten in einem fünfzackigen Sternmarsch aufeinander zu, um sich bei der Abschlusskundgebung zu treffen. «Die achtziger Jahre werden mehr und mehr zum gefährlichsten Jahrzehnt in der Geschichte der Menschheit. Ein Dritter Weltkrieg wird aufgrund der weltweiten Aufrüstung immer wahrscheinlicher.» So lauten die ersten Zeilen des Aufrufs zur Demonstration, und am Ende heißt es: «Wir sind alle aufgerufen, uns mit Mut, Phantasie und langem Atem gegen einen drohenden Atomkrieg zu wehren und Alternativen zur gegenwärtigen Militärpolitik zu entwickeln.» Schier unüberschaubar sind die Menschenmengen, die für dieses Ziel demonstrieren, es sind junge Hippies und Ökos darunter sowie Hippies und Ökos mittleren Alters, Angehörige von Kirchengruppen und der im Vorjahr neu gegründeten Partei Die Grünen, Gewerkschafter, Mitglieder vonDKP undCDU, aber auch solche aus derSPD, die sich gegen den offiziellen Regierungskurs des Bundeskanzlers Helmut Schmidt aussprechen. Es reden der evangelische Pastor und ehemaligeSPD-Bürgermeister Westberlins, Heinrich Albertz; zwei Prominente aus der Partei Die Grünen, Petra Kelly und Gert Bastian; die Witwe desUS-amerikanischen Bürgerrechtlers Martin Luther King, Coretta Scott King, versucht, ein wenig Hoffnung auf eine friedliche Welt zu stiften; die Theologin Uta Ranke-Heinemann hingegen malt die Gesamtlage in den düstersten Farben.
Zu Beginn der achtziger Jahre spitzt sich der Kalte Krieg zu; bei vielen Menschen wächst die Angst, er könnte bald in einen heißen Krieg umschlagen. Seit 1977 hat die Sowjetunion in den Staaten des Warschauer Pakts neue Waffen für einen Atomkrieg in Stellung gebracht. Die zwanzigste Generation der «Surface-to-surface»-Raketen, kurzSS-20, kann fünftausend Kilometer weit fliegen und also im Ernstfall ganz Westeuropa verheeren. Dagegen verabschiedet das westliche Militärbündnis im Dezember 1979 denNATO-Doppelbeschluss. Darin heißt es: Wenn die Sowjetunion sich nicht binnen vier Jahren für den Rückzug derSS-20 entscheide, dann werde man selbst neue atomare Mittelstreckenraketen stationieren. Mit den Pershing-II-Flugkörpern will dieNATO jenes «Gleichgewicht des Schreckens» wiederherstellen, das – wie die Vertreter beider Militärblöcke behaupten – in der gegenwärtigen Lage einzig und allein den Frieden garantiert. Die Sowjetun