2. KAPITEL
Leo blinzelte, als er hörte, wie jemand leise umherging. Von draußen drang ein schwacher Lichtschimmer herein. Das Bett war unbequem, und er brauchte ein paar Sekunden, um sich zu orientieren.
Mont Coeur … die Testamentseröffnung, Sebastian, Noemi.
Und dann die letzte Nacht und … Anissa.
Er drehte sich auf die Seite und stützte sich auf einen Ellenbogen, um ihr zuzuschauen, wie sie sich leise durch den Raum bewegte und eine Art Uniform anzog.
„Schick …“, murmelte Leo verschlafen.
Anissa schaute hoch. „Entschuldige, ich wollte dich nicht wecken, aber ich habe Frühschicht und muss gleich los.“
Er war nicht der Typ für ungeplante Übernachtungen und peinliche Szenen am nächsten Morgen. Doch wie es aussah, erlebte er eine Premiere nach der anderen. Möglicherweise hing das ja mit dem Jetlag und dem emotionalen Trauma anlässlich der Testamentseröffnung zusammen.
Gebannt beobachtete Leo, wie dieEisprinzessin ihre helle Haarflut in einem Pferdeschwanz bändigte. Schon gestern Abend hatte er sie umwerfend gefunden, und im ersten Morgenlicht war sie genauso hinreißend. Ihre Blicke begegneten sich, und er wusste, dass er die Sache so schnell wie möglich beenden und seine eigene Luxusherberge finden musste, zu der er es letzte Nacht nicht geschafft hatte.
Als Anissa ihre Jacke überzog, schwang er abrupt die Beine aus dem Bett und griff nach seinen Sachen. Sie musste arbeiten und würde keinen Fremden in ihrem Domizil zurücklassen wollen. „In einer Minute bin ich soweit und schaffe mich aus dem Weg“, versprach Leo.
Während er sich anzog, blitzten Bilder der letzten Nacht vor seinem inneren Auge auf. Fantastische Bilder, aufregend und lustvoll. Er spürte eine seltsame Verbindung zu der Frau, die im Türrahmen lehnte und ihn verlegen beobachtete.
„Danke, dass du mir gestern Abend geholfen hast“, sagte sie.
„Kein Problem.“ Er zog seine Schuhe an und schlenderte auf sie zu. „Wie geht es deinem Fuß heute Morgen?“
Sie schnitt eine kleine Grimasse. „Er zwickt ein wenig, aber mehr nicht.“
Obwohl er jetzt dicht vor ihr stand, machte sie den Weg nicht frei.
„Die letzte Nacht war …“ Leo ließ den Satz offen, unsicher, was er sagen sollte.
Ganz anders Anissa. „Der beste Sex, den ich seit Jahren hatte“, platzte sie heraus.
Leo stutzte und lachte befreit. „Okay …“ Er brauchte einen Moment, um sich zu fangen. „Dem kann ich nur beipflichten.“
Ihre eisblauen Augen hielten ihn fest, und Leo spürte, wie sich sein Magen zusammenzog. Bitte, lass es nicht mehr sein, als es ist, flehte er innerlich.
In seinem Kopf herrschte absolutes Chaos. Verstand und Emotionen befanden sich im Ausnahmezustand. Innerhalb weniger Monate hatte er seine Eltern gefunden, beide wieder verloren, einen Bruder und eine Schwester kennengelernt und wurde quasi erpresst, sich für das Familienunternehmen zu engagieren, von dem er nicht die leiseste Ahnung hatte.
Das reichte. Für etwas anderes hatte er weder Zeit noch Kraft noch …
„Keine Sorge, ich bin nicht auf eine Romanze aus“, beruhigte Anissa ihn spröde.
„Ich auch nicht.“ Die Antwort war vielleicht etwas zu schnell gekommen, um höflich zu sein. Zumal er selbst die Erleichterung in seiner Stimme gehört hatte.
„Außerdem bin ich absolut kein Typ für One-Night-Stands“, wurde er weiter belehrt. „Die letzte Nacht war nur …“
„Ein Ausnahmezustand, für uns beide?“, schlug er vor.
Sie nickte heftig. „Eine einmalige Episode.“
Sie war ihm so nah, dass er das fruchtige Shampoo roch, als ihr Pferdeschwanz wippte. Es wäre so einfach, sich vorzubeugen und sie zu küssen. Ihre weichen Lippen unter seinen zu spüren und sie auf das ungemachte Bett zu ziehen …
Mit ihrem freimütigen Statement hatte Anissa den Nagel auf den Kopf getroffen. Die letzte Nacht war unerwartet die beste Nacht seines Lebens gewesen. Dabei kannte er dieses Zauberwesen eigentlich gar nicht. Davon abgesehen war sein Timing eine Katastrophe.
Anissa lächelte und trat zur Seite, um ihn durchzulassen.
Das frühe Morgenlicht fiel durch die Fenster in die Angestelltenhütte. Sie war klein, funktional und wirkte sehr aufgeräumt, mit nur wenigen Accessoires, die ahnen ließen, dass hier eine Frau wohnte. Auf einem Sideboard stand ein gerahmtes Foto von Anissa auf Skiern, daneben die bei