In dieser Stunde beginne ich mit dem Versuch, einige Überlegungen zu einer allgemeinen Systemtheorie zusammenzustellen. Das Wort, der Begriff »allgemeine Systemtheorie« überzieht die Sachverhalte beträchtlich. Eigentlich gibt es eine solche allgemeine Systemtheorie nicht. Zwar wird in der soziologischen Literatur immer auf die Systemtheorie Bezug genommen, so als ob es sich um etwas handele, das im Singular vorhanden wäre, aber wenn man genauer zusieht und wenn man über die soziologische Literatur hinausgreift, wird es schwierig, einen entsprechenden Gegenstand, eine entsprechende Theorie zu finden. Es gibt mehrere allgemeine Systemtheorien. Es gibt Versuche, systemtheoretische Ansätze zu verallgemeinern, das heißt, die Schranken einer bestimmten Disziplin zu überschreiten, aber im Allgemeinen ist dann immer noch deutlich zu erkennen, in welcher Disziplin der Ausgangspunkt dieser Abstraktionen liegt. Im Allgemeinen gibt es auch beträchtliche Barrieren zwischen den verschiedenen Disziplinen oder den verschiedenen Theoriemodellen, die Verallgemeinerungen von einer bestimmten Ausgangslage her zu formulieren versuchen. Diese Situation ist vielleicht historisch bedingt. In den 50er-Jahren hat man versucht, eine allgemeine Systemtheorie zu formulieren. Die entsprechende Terminologie beginnt in dieser Zeit. Damals wurde eine Gesellschaft für »General Systems Research« gegründet.1 Es entstand ein »General Systems«-Jahrbuch als Fokus für Publikationen mit dieser Interessenrichtung. Und es gab die Idee, dass man von verschiedenen Ausgangspunkten her Gedanken zusammenbringen und kombinieren könnte, die dann eben so etwas wie eine allgemeine Systemtheorie produzieren sollen. Das war nicht ohne Erfolg. Aber es lohnt sich, zunächst einmal in die Quellen dieser Überlegungen zurückzugehen und die verschiedenen Ausgangspunkte zusammenzustellen, um dann zu sehen, wo jeweils der kritische Fokus, die Probleme einer solchen Generalisierung gelegen haben und weshalb man über eine bestimmte Schwelle systemtheoretischer Entwicklungen nicht hinausgekommen ist.
Meine Absicht ist es in dieser Stunde, zunächst einmal diese Entwicklung aufzuzeigen und ihre Grenzen zu markieren, um dann mit einem Neuansatz zu versuchen, einzelne Gesichtspunkte einer Art zweiten Generation, einer »second order cybernetics«, einer »Theorie beobachtender Systeme« und dergleichen zu formulieren.
Also zunächst einmal zu den Ausgangspunkten. Eine Entwicklung lag in der Metapher oder in Modellen, die mit dem Begriff des Gleichgewichts gearbeitet haben. Das hatte zunächst einmal insofern eine mathematische Grundlage, als man mit mathematischen Funktionen zu arbeiten versuchte, aber die Metaphorik ist auch unabhängig davon interessant und im Übrigen eine der ältesten Quellen des systemischen Denkens, längst in Gebrauch, bevor man das Wort »System« mit einer gewissen Prominenz versah, längst natürlich auch, bevor man von »Systemtheorie« im eigentlichen Sinne sprechen konnte. Ich weiß nicht genau, wann das angefangen hat, aber die Gleichgewichtsmetaphorik ist im 17. Jahrhundert in der Idee des »balance of trade« schon selbstverständlich in Gebrauch, motiviert gegen Ende des Jahrhunderts auch die Vorstellung eines internationalen, speziell eines europäischen Gleichgewichts der Nationen (oder politischer Faktoren) und findet darüber hinaus eine allgemeine und relativ unbestimmte Verwendung.
Wenn man auf diese Entwicklung zurückblickt, kann man sagen, sie ist durch eine Unterscheidung zu kennzeichnen, nämlich die Unterscheidung zwischen einem stabilen Zustand und einer Störung. Normalerweise wird der Akzent auf Stabilität gelegt. Man stellt sich ein Gleichgewich