: Heinrich Mann
: Die kleine Stadt Roman
: AtheneMedia-Verlag
: 9783869923970
: 1
: CHF 4.00
:
: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 528
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eine Wanderoper gastiert in einer kleinen Stadt. Der Priester Don Taddeo lernt eine neue Seite kennen - die sinnliche Begierde. Die Komödianten beabsichtigen weiter zu ziehen. Daraufhin bringt Alba Nardini aus Eifersucht ihren Geliebten Nello Gennari, den Tenor, und sich um ...

Luiz Heinrich Mann war deutscher Schriftsteller aus der Familie Mann. Der ältere Bruder von Thomas Mann analysierte früh autoritären Strukturen des Deutschen Kaiserreichs im Zeitalter des Wilhelminismus und war Verfechter der Demokratie, stellte sich von Beginn an dem Ersten Weltkrieg und Nationalsozialismus entgegen. Manns Werke wurden in dieser Dunklen Zeit öffentlich verbrannten.

I


Der Advokat Belotti trat schwänzelnd an den Tisch vor dem Café „zum Fortschritt“, wischte mit dem Taschentuch um seinen kurzen Hals und sagte erstickt:

„Die Post hat wieder Verspätung.“

„Jawohl“, machten Apotheker und Gemeindesekretär; und da nichts Tatsächliches mehr zu sagen blieb, schwiegen sie. Der Reisende warf hin:

„Ihr wird doch nichts zugestoßen sein?“

Die andern stießen unwillig den Atem aus. Der Leutnant der Carabinieri legte mit Nachsicht, weil es sich um einen Fremden handelte, die große Sicherheit der Straßen dar. Zwei seiner Leute begleiteten stets zu Pferde die Post, und nur einmal hatten sie einzugreifen gehabt. Damals wollte ein Bauer seinen Platz nicht bezahlen und zog gegen den Kutscher das Messer.

„Solche Leute haben wenig Erziehung“, erklärte der Leutnant.

„Ein langweiliges Handwerk, das eure“, rief der Apotheker Acquistapace mit seiner braven Stimme.

„Betrunkene aus dem Graben ziehen und eine entlaufene Kuh zurückscheuchen. Als wir dabei waren, gings anders zu. Wie, Gevatter Achille?“

Der Wirt rief von drinnen: „Zugegen.“

Er stampfte heraus, stützte die Last seines Bauches auf eine Stuhllehne und wartete mit offenem Munde, worin die Zunge umherrollte.

„Wie, mein Alter?“ und der Apotheker klopfte ihn auf den Bauch, „vor unseren Füßen ist manche Granate geplatzt. In Bezzecca wars, als gleich bei uns beiden der General Garibaldi selber stand. Die Granate platzt, wir springen zurück, versteht sich; der General aber rührt sich nicht; er sieht in den Dampf, als ob er sinnt. ‚Keine Furcht, Freunde‘, sagt er zu uns, und, Achille, wir hatten keine mehr.“

„Das ist die reine Wahrheit“, sagte der Wirt; und mit Wucht: „Der General war ein Löwe.“

„Er war ein Löwe“, wiederholte der andere Alte, fuhr mit der Hand durch seinen riesenhaften Schnauzbart und sah alle von oben an. Plötzlich machte er sich klein und tat eine Gebärde, als streichelte er ein Kind.

„Aber auch ein Engel war er: ja, unwissend in manchem, wie ein Engel. Manches geschah, wie, Gevatter? was er nie erfahren hat. Alle wußten, daß jener Nino ein Weib war, nur der General nicht.“

Der Advokat Belotti fragte: „War er eigentlich ein schönes Weib, jener Nino?“

Der Apotheker zischte leise. „Solche Frauen gibt es nicht mehr! Und al