1. KAPITEL
Prinzessin Fredericka hoffte inständig, ihr Bruder würde nicht zu abweisend sein. Sie wusste selbst, dass sie schwere Fehler gemacht hatte. Als Teenager war sie ein Wildfang gewesen und hatte ihre Familie mit ihren Eskapaden oft zur Verzweiflung gebracht.
Alle waren erleichtert gewesen, als sie geheiratet hatte, denn sie schien dadurch ruhiger und besonnener zu werden. In gewisser Weise stimmte das auch, aber gleichzeitig hatte sie begreifen müssen, dass sich im Leben nicht alle Erwartungen erfüllten.
Fredericka kannte ihren Bruder Stefan, den regierenden Prinzen von Chantaine, gut genug. Würde er einer geschiedenen Frau gestatten, ihren Sohn Leo allein zu erziehen?
Nervös wartete sie im Vorzimmer des Prinzen. Mehrere Palastdiener waren damit beschäftigt, weihnachtliches Grün zu dekorieren und Kerzen in die Fenster zu stellen. Vermutlich hatte Eve, Stefans Ehefrau, den Auftrag zum Schmücken erteilt. Als Kind hatte Fredericka den Weihnachtsschmuck im Palast kaum wahrgenommen – abgesehen von der riesigen Tanne, die alljährlich im Ballsaal des Schlosses aufgestellt wurde.
Natürlich hatte das angespannte Verhältnis ihrer Eltern nicht gerade zur Weihnachtsstimmung beigetragen. Frederickas Vater, Prinz Edward, war ein Weltenbummler gewesen, der sich weder um seine Frau noch um seine Kinder kümmerte. Ihre Mutter hatte sich wie eine Gefangene gefühlt, und ihr Kummer war allmählich in Verzweiflung übergegangen.
Fredericka selbst kannte nur den einen Wunsch: weg von zu Hause, möglichst weit weg. Es hatte auch mehrere Fluchtversuche gegeben – genau deswegen fürchtete sie, dass die Unterhaltung mit ihrem Bruder nicht glatt verlaufen würde. Prinz Stefan war ein äußerst besonnener Herrscher, und als ältester Bruder fühlte er sich für seine jüngeren Geschwister und ihre Familien voll verantwortlich.
Endlich wurde die Tür zum Arbeitszimmer des Prinzen geöffnet. „Bitte treten Sie näher, Hoheit“, forderte Rolf, Stefans Privatsekretär, sie höflich auf.
„Danke.“ Fredericka nickte ihm zu und betrat das Zimmer. Rolf zog sich diskret zurück. „Stefan.“ Sie ging auf ihren Bruder zu und küsste zur Begrüßung seine Wange. Dabei bemerkte sie zum ersten Mal die grauen Streifen in seinem dunklen Haar. Sein Amt lastete anscheinend schwer auf ihm. „Wie geht es dir?“
„Danke, gut“, erwiderte er und küsste sie ebenfalls „Allerdings mache ich mir Sorgen um dich und Leo.“
Fredericka lächelte. „Oh, wir fühlen uns beide pudelwohl. Ich freue mich, wieder hier zu sein. Das Jahr bei Valentina war doch recht lang.“
„Du hättest in Chantaine bleiben können“, bemerkte Stefan und setzte sich hinter seinen Schreibtisch.
Fredericka nahm den Besuchersessel ein und fixierte ihren Bruder. „Ich glaube, es war richtig, während meiner Schwangerschaft in Texas unterzutauchen und dort auch meinen Sohn zur Welt zu bringen. Tina und ihr Mann haben sich rührend um mich gekümmert, und ihre kleine Tochter Katarina ist ein Schatz. Vielleicht ein bisschen zu lebhaft, aber …“ Fredericka schwieg, denn sie musste unwillkürlich an sich selbst denken.
„Das glaube ich gern.“ Stefan nickte zustimmend. „Aber nun zu dir, Ericka. Ich wünsche mir, dass du mit Leo in den Palast ziehst.“
Ericka war ihr Kosename in der Familie. Sie widersprach ihrem Bruder nur ungern, aber bei dieser entscheidenden Frage ließ es sich nicht vermeiden.
„Ich bin anderer Ansicht, Stefan. Ich habe ein hübsches kleines Cottage mit Zaun und verschließbarem Tor gefunden … und dazu eine Nanny für Leo. Sie heißt Marley.“
Stefan runzelte die Stirn. „Und wie steht es um die Sicherheit? Ein Zaun und ein Tor … was bedeutet das schon? Für euch gilt die höchste Sicherheitsstufe, die eigentlich nur hier im Palast gewährleistet ist.“
Ericka schüttelte den Kopf. „Ich fühle mich im Palast nicht heimisch. Sei ehrlich, Stefan … wir fühlen uns hier alle nicht richtig wohl. Außer dir wohnt von unseren Geschwistern niemand im Palast. Es klingt vielleicht hässlich, aber das