Wie alles beginnt, warum wir deshalb alle eine Macke haben, wir uns auf das Gedächtnis des Körpers verlassen können und dadurch leider nichts besser wird
Beginnen möchte ich bei Ihrer Geburt und auch schon vor Ihrer Geburt. Warum? Weil Sie zu diesem Zeitpunkt Erfahrungen machen, die Ihr gesamtes Leben prägen und Sie begleiten, auch wenn Sie keinerlei bewusste Erinnerung daran haben. Und auch wenn das vielleicht fürs Erste etwas seltsam für Sie klingt: Sie können Ihre aktuelle Krise nicht verstehen, wenn Sie nicht Ihre Geburt verstehen und ein klares Bewusstsein davon entwickeln, was es für uns Menschen bedeutet, auf diese Welt zu kommen und in dieser Welt zu sein.
Im Bauch unserer Mütter geht es uns meist gut. Wir sind in Sicherheit. In einem wunderbaren Fruchtwassermilieu von etwas über 37 Grad entwickeln wir uns über viele Wochen. Um uns schummrige Halbdunkelheit, die Geräusche gedämpft oder in beruhigender Stille, die uns den Herzschlag unserer Mutter hören lässt. Über die Nabelschnur werden wir mit allen wichtigen Nährstoffen und Botenstoffen versorgt: Die Freude der Mutter erleben wir durch einen ersten Kontakt mit Dopamin, die Liebe der Mutter erfahren wir durch das Bindungshormon Oxytocin. Allerdings können auch diese ersten Wochen und Monate unserer Existenz schon davon geprägt sein, dass unsere Mutter voller Angst, Unsicherheit, Wut, Verzweiflung ist, da sie mit der Schwangerschaft nicht gerechnet hatte, unsicher ist, ob sie eine gute Mutter sein wird, ängstlich ist, ob die Schwangerschaft Bestand hat, ob sie ein Kind gut beschützen kann, oder frustriert, weil sich der Partner oder die Eltern nicht über den Nachwuchs freuen. Auch in einer solchen Konstellation wird das Ungeborene durch die Nabelschnur einen Cocktail von Botenstoffen erhalten, der es unruhig, unsicher, ängstlich sein lässt. In Summe bleibt diese Zeit jedoch eine der Sicherheit, des Aufgehoben- und Versorgtseins.
Was dann mit der Geburt und dem Beginn unseres Daseins außerhalb des Mutterleibs beginnt, ändert allerdings alles: Der Geburtsvorgang lässt das Ungeborene ungeahnten stundenlangen Stress erleben. Die Geborgenheit der Fruchtblase verschwindet, alles wird eng, Kopf, Schultern, Körper werden gequetscht und gepresst, der weiche Schädel macht eine Verformung durch, das noch kleine Gehirn kommt mächtig unter Druck, die Herzfrequenz steigt und wird mehr zu einem Rasen als zu einem Pochen. Die Qualen scheinen endlos, sowohl für die Mutter wie auch für das Kind. Doch während die Mutter ein Ziel verfolgt, nämlich die Geburt, und sich immer wieder sagen kann, dass diese irgendwann vorbei sein wird, fehlt uns Noch-nicht-Geborenen jedes Bewusstsein von Einordnung oder Zeitperspektive. Alles ist neu, alles ist jetzt, alles ist Schmerz, alles ist Untergang. Was die Eltern voller Freude als Beginn sehen, erleben das Ungeborene und auch das Neugeborene voller Schmerz und Überforderung als Ende. Nämlich als das Ende der großartigen Zeit im Mutterleib und als Ende seiner Existenz.
Auch nach der Geburt halten die Verwirrung und die Überforderung erst einmal an: Statt des Wassermilieus befinden wir uns ohne Vorwarnung in einem Luftmilieu, es ist kalt, es ist hell, es ist laut, und unsere einzige Verbindung zu Nährstoffen, die Nabelschnur, wird wenige Minuten nach der Geburt durchtrennt. Spätestens in diesem Moment spüren wir ganz sicher: Es ist vorbei. Ich werde sterben. – Sekunden später entdecken wir die Kraft unserer Lungen, liegen auf dem Busen unserer Mutter, hören den vertrauten Herzschlag, finden den Busen und merken: Es wird weitergehen, noch ist nicht alles verloren.
Doch wie geht es weiter? Der Mensch ist in der Sprache der Biologen ein sogenannter sekundärer Nesthocker; das heißt, er braucht nachgeburtlich intensive Betreuung. Das kommt uns normal vor. Wir sind damit aber unter den hoch entwickelten Säugetieren eine a