: Ali Smith
: Frühling Roman
: Luchterhand Literaturverlag
: 9783641222994
: 1
: CHF 10.80
:
: Erzählende Literatur
: German
: 320
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Frühling, die Kraft, die verbindet und wandelt: Was verbindet einen unbekannten Regisseur, der um verlorene Zeiten trauert, und die Angestellte eines Flüchtlingszentrums, die in modernen Zeiten gefangen ist? Was haben Katherine Mansfield und Rainer Maria Rilke mit Twitter und Fake News zu tun? Und warum schafft es ein 12-jähriges Mädchen, verkrustete Strukturen zu sprengen und allen die Augen zu öffnen? Ali Smith erzählt die unmögliche Geschichte einer unmöglichen Zeit und stößt in einer Welt, die zunehmend von Mauern und Schließungen geprägt ist, eine Tür auf. Frühling, die Zeit der Hoffnung.

Ali Smith wurde 1962 in Inverness in Schottland geboren und lebt in Cambridge. Sie hat mehrere Romane und Erzählbände veröffentlicht und zahlreiche Preise erhalten. Sie ist Mitglied der Royal Society of Literature und wurde 2015 zum Commander of the Order of the British Empire ernannt. Ihr Roman »Beides sein« wurde 2014 ausgezeichnet mit dem Costa Novel Award, dem Saltire Society Literary Book of the Year Award, dem Goldsmiths Prize und 2015 mit dem Baileys Women’s Prize for Fiction. Mit »Herbst« kam die Autorin 2017 zum vierten Mal auf die Shortlist des Man Booker Prize sowie auf Platz 6 der SWR-Bestenliste, für »Sommer« erhielt sie den George Orwell Prize. 2022 wurde Ali Smith mit dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur ausgezeichnet.

Vorigen März. Fünf Monate vor ihrem Tod. Meilenweit stapft er durch Schneematsch von seiner Wohnung zu ihrer. Läutet an der Tür. Einer der Zwillinge macht ihm auf. Paddy ist hinten. Als sie ihn in der Diele hört, ruft sie:

Ist das mein geliebter König der Künste?

Sie ist so mager, dass man meint, ihr Arm könnte brechen, wenn sie einen Becher Tee anhebt. Doch als er vor ihr steht, bläst ihm der Sturm ihrer Worte entgegen: Sein Haar ist zu lang, sein Hemd voller Flecken, was hast du gemacht, gegessen wie ein Irrer? Sieh dir deine Hose an, hast du keine Stiefel? Sieh dir deine arme schöne Hühnerbrust in dem bekleckerten Hemd an, Dick, wofür hältst du dich, für Perikles von Tyrus?

Perikles von Müd und Matt, sagt er. Sechs Meilen durch Schneestürme, um mit dir über gutes Benehmen zu sprechen.

Ach,du bist der Müde, du hemmungsloser Jammerlappen. Ich bin diejenige, die stirbt, sagt sie. Zieh deine nassen Schuhe aus.

Du wirst niemals sterben, Paddy, sagt er.

O doch, das werde ich.

Nein, wirst du nicht.

Werd erwachsen, sagt sie, das ist kein Kasperletheater, wir werden alle sterben, das ewige Leben ist ein modernes Märchen, eine rechte Misere, darauf darf man nicht reinfallen, und jetzt bin ich es, die in das Boot mit dem Loch steigen muss, nicht du, also komm mir nicht so.

Wir sitzen alle im selben Boot, Pad, sagt Richard.

Hör auf, mir meine Tragödie zu stehlen, sagt sie. Stell die Schuhe auf den Heizkörper. Runter mit den Socken und rauf damit auf den Heizkörper. Dermot, hol ein Handtuch und setz Wasser auf.

Das Schiff der liberalen Welt, sagt er. Wir dachten, wir wären Schiffskameraden und würden für immer in den Sonnenuntergang segeln.

Das war einmal, aus und vorbei, sagt sie. Wie macht sich das Schiff der neuen Weltordnung da draußen?

Er lacht.

Wie in einem Computerspiel, sagt er. Digital konzipiert, damit man es mit Torpedos beschießen kann.

Menschlicher Einfallsreichtum, sagt sie. Man muss ihn beklatschen, wenn er so interessante neue Arten erfindet, Spaß am Zerstören zu haben. Wie geht’s dir, abgesehen vom Ende der liberalen kapitalistischen Demokratie? Ich meine, schön, dich zu sehen, aber was willst du?

Er berichtet ihr seine Neuigkeit. Er ist gerade Martin Terps neuestem Werk zugeteilt worden.

Terp? Ach herrje.

Ich weiß, sagt Richard.

Möge Gott dir beistehen, und den Beistand wirst du auch brauchen, sagt sie. Zugeteilt wofür? Um was zu tun?

Er erzählt ihr von dem Roman über die zwei Schriftsteller, die 1922 zufällig beide in derselben kleinen Ortschaft in der Schweiz lebten, sich aber nie begegneten.

Katherine Mansfield?, sagt sie. Wirklich? Bist du dir sicher?

Das ist der Name.

Eine Nachbarin von Rilke? Und das stimmt?

Die Danksagung hinten im Roman beteuert, dass es stimmt, sagt er.

Was für ein Roman? Geschrieben von wem?

Ein literarischer, sagt er. Der zweite Roman von Nella irgendwas, Bella.