3.
DER MANN AN DER KLIPPE
Ein Krampf durchfuhr meinen ganzen Körper. Ich schrie auf und öffnete gleichzeitig die Augen. Ich spürte meine Beine nicht mehr, und von der gekrümmten Lage tat mir der Rücken weh. Mit ausgetrockneter Kehle suchte ich am Boden und auf dem Rücksitz meines Wagens nach einer Flasche Wasser, aber das Einzige, was ich fand, war die Urne, die das Morgenlicht reflektierte.
»Lach nicht, Jonathan, sonst verpass ich dir eine«, fuhr ich sie an. »Hast du dich etwa nie besoffen? Allein zu trinken, ist natürlich viel trauriger … Aber daran bist du schuld, du Idiot.«
Ich wälzte mich im Auto hin und her und hatte das Gefühl, jeden Augenblick würde mir der Kopf zerspringen.
In meinem Handy suchte ich nach dem Ort am Mount Moran, wo ich das, was von meinem Bruder übrig geblieben war, verstreuen sollte. Google Maps entnahm ich, dass fast zehn Stunden Fahrt vor mir lagen, und ich war mir nicht einmal sicher, ob ich es auch nur zehn Minuten am Steuer aushalten würde.
Ich öffnete das Wagenfenster, um von der Frühlingsluft einen klaren Kopf zu bekommen. Dann schloss ich wieder die Augen und versuchte, den Kater abzuschütteln.
In meinem Alter sollte ich nicht mehr im Auto übernachten, sagte ich mir. Wie oft hatten Jonathan und ich es getan, wenn wir im Sommer an den kalifornischen Stränden nach den idealen Wellen Ausschau hielten …
Damals war ich um die zwanzig und das Leben noch eine mühelose Sache. Am Wochenende jobbten wir in einer Bar für einen Hungerlohn, unterwegs aßen wir aus Konservendosen. Mit unserem Vater, der unsere Lebensweise nicht verstand, redeten wir nicht mehr.
Unsere Taschen waren leer, aber unsere Köpfe voller Träume, und wir waren immer zusammen, erinnerte ich mich wehmütig.
Zusammen gegen die Welt. Genau genommen gegen eine Chicano-Welt, die uns zu eng geworden war. Unsere Eltern trauerten fortwährend einem Zuhause nach, das wir nicht kannten. Wir verkehrten ja mit Leuten, die »nicht mal Spanisch redeten«, wie eine Tante beklagte, die starb, ohne je ein Wort Englisch gesprochen zu haben, obwohl sie ihr halbes Leben auf dieser Seite der Grenze verbracht hatte.
Jonathan und ich … Eine Zeit lang waren wir eher Freunde als Brüder, bis unsere Wege sich trennten. Und alles, was jetzt von uns blieb, waren eine Urne voller Asche und ein menschliches Wrack.
Ich gab mir einen Ruck, stieg aus dem Auto und warf einen Blick auf die Tankstelle und den noch geschlossenen Diner. Kein Lüftchen regte sich, alles war still. Ein Schild, das eine halbe Ewigkeit auf dem Buckel zu haben schien, pries Brombeerkuchen mit Sirup an.
Nach und nach spürte ich, wie mir das Blut wieder in den Kopf stieg und damit auch das, was Rose mir noch vor wenigen Stunden erzählt hatte.Der Mann am Abgrund … Sie hatte ihn zwar nicht so genannt, aber der Journalist in mir hatte ihm diesen Titel verpasst.
Während ich versuchte, mich an seinen Namen zu erinnern, fiel mir wieder ein, dass er in dieser höllischen Nacht durch meine kurze