Liebe, Bewunderung oder Sicherheit? Die Gestalt als Weg zur Diagnose von Borderline-, narzisstischen und schizoiden Anpassungen1
Wenn man Ihnen auftragen würde, schnell zu entscheiden, was Ihnen bei Ihren Beziehungen wichtiger ist – die Liebe anderer, ihre Bewunderung oder Geborgenheit und Sicherheit – werden Sie vielleicht feststellen, dass instinktiv einer dieser drei Aspekte die größere Anziehungskraft für Sie hat. Vielleicht finden Sie auch die bloße Frage seltsam, da nichts davon für Sie in Ihren Beziehungen besonders im Vordergrund steht oder aber Ihnen alle drei Punkte gleich wichtig vorkommen.
Ich stelle jedoch immer wieder fest, dass meinen Klienten mit Anpassungen des Selbst, vor allem denjenigen, die landläufig als Menschen mit Borderline-, narzisstischen oder schizoiden Störungen beschrieben werden, die Wahl hier überraschend leichtfällt. Borderline-Klienten ist Liebe so gut wie immer wichtiger als Bewunderung oder Sicherheit. Für narzisstische Klienten rangiert Bewunderung an erster Stelle, so gut wie alles andere ist sekundär. Und schizoide Klienten müssen sich um jeden Preis sicher fühlen, oder sie können emotional gar nicht genug präsent sein, um überhaupt etwas von Liebe oder Bewunderung zu haben.
Die interpersonelle Gestalt
Mein Punkt ist der, dass wir auf einem schnellen und einfachen Weg ziemlich viel über unsere Klienten in Erfahrung bringen können, indem wir einfach beobachten, was bei ihnen im Umgang mit anderen üblicherweise im Vordergrund steht. Ich nenne die Figur, die sich bei ihnen standardmäßig zeigt, ihre »interpersonelle Gestalt« (IG). Im allgemeinsten Sinn ist die interpersonelle Gestalt die Ordnung, die wir im jeweiligen Moment in unserem interpersonellen Feld sehen: Was von den vielen interpersonellen Möglichkeiten zur Figur wird und was zum Grund? Hierzu gehört zum Beispiel, welche Rolle wir im Rahmen einer Interaktion spielen möchten. Wie wir vom anderen gesehen und behandelt werden wollen. Wie wir uns während der Interaktion zu fühlen erwarten. Und wonach wir uns im Hinblick auf die andere Person insgeheim sehnen oder wovor wir Angst haben.
Die interpersonelle Gestalt folgt den gleichen Gesetzen wie andere Gestaltgeschehen. Unsere Interessen, Bedürfnisse, Erwartungen, Physiologie, Kultur, unsere Geschichte und unser Temperament – sie alle haben Einfluss darauf, was für uns zur Figur wird. Wir neigen dazu, die Dinge wahrzunehmen, die wir wollen, brauchen oder fürchten. Daher ist davon auszugehen, dass wir besonders auf interpersonelle Signale ansprechen, die entweder die Erfüllung unserer größten Sehnsüchte und unerfüllten Bedürfnisse versprechen oder aber unsere tiefsten Ängste auf zwischenmenschlichem Gebiet wecken. Wer von uns in der Vergangenheit interpersonelle Traumen wie Verlassenwerden, körperliche Gewalt oder Demütigung erfahren hat, neigt dazu, extrem sensibel auf interpersonelle Signale zu reagieren, die die Angst wecken, ein weiteres Mal solche Traumen zu erleben. Jemand, der laute Stimmen mit Prügel in Verbindung bringt, wird seine interpersonelle Gestalt tendenziell so organisieren, dass laute Stimmen besonders leicht zur Figur werden.
Die Idee einer interpersonellen Gestalt weist gewisse Überschneidungen mit der Vorstellung der Objektbeziehungstheoretiker von einer inneren Objektbeziehungseinheit auf, die aus einer Sicht des Selbst und einer Sicht des Objekts (der anderen Person) besteht, deren Verbindungselement ein charakteristischer Affekt ist. Diese bei der Interaktion zwischen Klient und Therapeut aktivierte Einheit bewirkt, dass der Klient sich selbst und den Therapeuten verzerrt wahrnimmt. Bei Klienten mit neurotischen Problemen wird diese Verzerrung üblicherweise als »Übertragung« bezeichnet; oder bei Anpassungen des Selbst als ein »Ausagieren in der Übertragung« (Masterson 1981).
Um die Begrifflichkeit der Gestalttherapie zu benutzen, entsteht die Übertrag