1. KAPITEL
In einem auf Hochglanz polierten Namensschild für eines der Pferde erhaschte Regina Flores in der Sattelkammer der Mesa Falls Ranch einen Blick auf ihr Spiegelbild. Sogar sechs Monate nach ihrer Typveränderung überraschte es sie manchmal noch, wenn ihr das Gesicht einer anderen Frau entgegenstarrte.
Regina entschied sich für ein einfaches Zaumzeug und kehrte eilig in den Stall zurück, um das zweite Pferd zu satteln. In der Vorwoche hatte sie sich auf der Ranch eingeschlichen, indem sie sich auf eine Stelle als Fremdenführerin beworben hatte. Bisher hatte sie allerdings noch keine Gelegenheit gehabt, in die Nähe von Devon Salazar zu kommen, dessen Firma die Social-Media-Kampagne der Ranch betreute, die seit Neuestem auch als exklusives Tagungshotel diente. Regina hatte den Job nur angenommen, um in Devons Nähe zu sein. Wenn sie noch ihrem alten Ich – Georgiana Fuentes – geähnelt hätte, wäre ihr das nicht gelungen.
Sie zog den Sattelgurt des zweiten Pferds fest und zäumte es auf. Dann führte sie beide Pferde über die Koppel hinter dem Stall, bevor sie sich in den Sattel des einen schwang. Sie hatte gehört, dass Devon einen Termin in der Lodge hatte. Also bestand die Chance, dass sie ihn überreden konnte, mit ihr dorthin zu reiten. Aber nur, wenn sie sich beeilte.
Sie trieb den braunen Mustang an, bis die Hauptgebäude außer Sicht waren. Die Ranchbesitzer hatten Devon ein Ferienhaus direkt am Bitterroot River überlassen. Das abgelegene Grundstück bot eine spektakuläre Aussicht, die man von Terrassen unterschiedlicher Höhe aus genießen konnte. Um den Job als Fremdenführerin zu ergattern, hatte Regina sich sorgfältig Notizen über alle Ranchgebäude gemacht. Sie hatte alles geopfert, um jetzt hier zu sein und die Wahrheit über die Salazar-Erben in Erfahrung zu bringen.
Wie viel wusste Devon Salazar über das Buch, das sein inzwischen verstorbener Vater vor acht Jahren unter einem Pseudonym veröffentlicht hatte? Den Enthüllungsroman, der ihr damaliges Leben hatte implodieren lassen? Sie hatte belauscht, wie Devon seinem Bruder gegenüber abgestritten hatte, etwas darüber zu wissen. Aber ihr war klar, dass die beiden einander nicht vertrauten. Deshalb gab sie nicht allzu viel auf das, was er zu Marcus gesagt hatte.
Ihr Privatdetektiv hatte erst kürzlich die Identität des Autors herausgefunden – zwei Monatenach Alonzo Salazars Tod. Jetzt konnte sie sich nicht mehr an ihm rächen, sondern nur noch an seinen Söhnen. Denn sie glaubte keine Sekunde lang, dass sie nicht davon profitiert hatten, dass Alonzo die Geheimnisse ihrer Familie enthüllt hatte, um sich materiell daran zu bereichern.
Leichter Schneefall setzte ein, als sie die Pferde auf den Reitweg lenkte, der eine Abkürzung zu Devons Hütte darstellte.
Sie war dankbar, dass sie nicht mehr der Frau ähnelte, die sie früher einmal gewesen war. Wenn sie noch wie die süße, unschuldige Georgiana Fuentes ausgesehen hätte, dann hätte Devon sie vielleicht als eine der Personen in der angeblich „fiktiven“ Geschichte seines Vaters wiedererkannt. Nachdem eine Klatschkolumnistin aus Hollywood die real existierenden Doppelgänger der Romanfiguren aufgestöbert hatte, waren unzählige Fotos von Georgiana in den Medien erschienen.
Aber durch den Stress hatte sie fünfzehn Kilo abgenommen. Und auch dank des erbarmungslosen Fitnesstrainings, mit dem sie ihre Wut abgearbeitet hatte, erinnerte nichts mehr an die molligen Kurven ihrer Teenagerzeit. Dann hatte sie, als sie vor drei Jahren vor der Regenbogenpresse geflüchtet war, einen Autounfall gehabt und sich einer plastischen OP unterziehen