Die theoretischen Erklärungsansätze für sexuelle Gewalt gegen Frauen sind vielfältig. Im folgenden Abschnitt wird eine Übersicht über die wesentlichen Strömungenursächlicher Erklärungen von Sexualdelikten gegeben. Die Übersicht ist auf solche Ansätze begrenzt, die sexuelle Gewalt gegen erwachsene Personen zum Gegenstand haben. Die Darstellung von Risikofaktoren, also von Merkmalen und Eigenschaften, die zwar mit sexuellen Gewalthandlungen gemeinsam auftreten, diese aber noch nicht erklären, wird inAbschnitt 5 vorgenommen.
Aufgrund der Fülle von Ansätzen zur Erklärung sexueller Gewalt erhebt die folgende Darstellung nicht den Anspruch, umfassend zu sein. Auch die gewählte Art der Systematisierung erhebt keinen Anspruch auf Absolutheit.
Aus Sicht derEvolutionstheorie, die „Vergewaltigung [als] ein Relikt unserer unzivilisierten Vorfahren“77 sieht, ist es ein Drang männlicher Lebewesen, sich so oft wie möglich zu reproduzieren, um das Fortbestehen des eigenen Erbgutes sicherzustellen. Um diese Chance möglichst zu erhöhen, sei es aus männlicher Sicht erstrebenswert, möglichst viele Nachkommen zu zeugen. Frauen, die naturgemäß weniger Nachkommen haben können als Männer, legen dagegen bei der Fortpflanzung größeren Wert auf die Auswahladäquater Partner. Durch diese widerstreitenden Interessen kann es den evolutionstheoretischen Ansätzen zufolge zu einer Mangelsituation für die Männer und in der Folge zu erzwungenen sexuellen Handlungen an Frauen kommen.78 In der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion sind derartige Ansätze allerdings in den Hintergrund getreten.
Daneben existierenbiologische Erklärungsansätze, welche die Ausübung (sexueller) Gewalt auf biologische bzw. körperliche Merkmale zurückführen. Derartige biologische Ursachen sexueller Übergriffe können beispielsweise ein erhöhter Testosteronspiegel oder Probleme im System der Neurotransmitter sein.79 Darüber hinaus werden in jüngster Zeit auch verstärkt genetische Faktoren sowie Aspekte der Gehirnentwicklung und Neurowissenschaften im Bereich der biologischen Theorien diskutiert.80 Nachweise kausaler, d.h. ursächlicher Zusammenhänge biologischer Faktoren und der Ausübung sexueller Gewalt sind allerdings, wie für alle Kriminalitätsphänomene, schwer zu erbringen und bislang wenig erhärtet bzw. Gegenstand aktueller Forschungsbemühungen.
Insgesamt sind bei den Erklärungen von Sexualdelinquenzpsychologische bzw. psychiatrische Ansätze deutlich in der Überzahl. Regelmäßig wird zur Erklärung sexueller Gewalt auf Zusammenhänge mit Persönlichkeitseigenschaften81 sowie mit einer allgemeinen Dissozialität oder „Krankhaftigkeit“ der Täter hingewiesen, beispielsweise in Form von Persönlichkeitsstörungen oder Psychopathie.82 Aufgrund der Vielschichtigkeit der in der Literatur angeführten möglichen psychologischen und psychiatrischen Hintergründe83 wird im Folgenden lediglich eine selektive Auswahl einiger oft zitierter psychologischer Erklärungsansätze wiedergegeben.
Eng in Zusammenha