: Rainer Huhle, Otto Böhm, Lilia Antipow, Matthias Gemählich
: Das Internationale Militärtribunal von Nürnberg 1945/46 Die Reden der Hauptankläger. Neu gelesen und kommentiert
: CEP Europäische Verlagsanstalt
: 9783863935313
: 1
: CHF 18.00
:
: Zeitgeschichte (1945 bis 1989)
: German
: 501
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die Hauptankläger der vier Siegermächte haben zu Beginn und am Ende des Nürnberger Prozesses große programmatische Reden gehalten, in denen sie ihre rechtsphilosophischen Ansichten, ihre Sicht auf die Verbrechen des Nationalsozialismus und ihre Zukunftsvisionen für ein internationales Strafrecht für Verbrechen gegen den Frieden und gegen die Menschheit deutlich machten. Von diesen Reden ist diejenige des amerikanischen Anklägers Robert H. Jackson als einzige ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit gelangt. Die Reden des britischen Anklägers Hartley Shawcross, der französischen Ankläger François de Menthon und Auguste Champetier de Ribes sowie des sowjetischen Anklägers R. A. Rudenko, sind hingegen so gut wie unbekannt geblieben. Zu Unrecht, denn in ihnen finden sich ebenfalls Gedankengänge, die für den Umgang mit der NS-Vergangenheit in den jeweiligen Ländern und weltweit bedeutsam waren, aber auch zukunftsweisend für die nationale und internationale juristische Behandlung von Staatsverbrechen. Von den vier Eröffnungsreden und den vier Schlussplädoyers werden hier je eine Rede der vier Mächte nachgedruckt und mit kommentierenden Essays begleitet. Diese Essays beleuchten zum einen historisch-kritisch die Argumentationslinien der Reden aus ihren - durchaus unterschiedlichen - Rechtsverständnissen und zum anderen verdeutlichen sie die Elemente, die im Sinne der 'Nürnberger Prinzipien' zukunftsweisend und -wirksam waren.

Das Nürnberger Menschenrechtszentrum beschäftigt sich mit den Nürnberger Prozessen und allen Fragen der Weiterentwicklung des Völkerrechts. Autoren: Rainer Huhle hat zahlreiche Veröffentlichungen zu Menschenrechten, Erinnerungspolitik und internationaler Strafgerichtsbarkeit vorgelegt. (u.a. 1989 in der Europäischen Verlagsanstalt das Buch 'Von Nürnberg nach Den Haag' ) und ist zusammen mit Otto Böhm im Nürnberger Menschenrechtszentrum, das sich mit den Nürnberger Prozessen und allen Fragen der Weiterentwicklung des Völkerstaatsrechts beschäftigt, für die Herausgabe dieses Bandes verantwortlich. Otto Böhm ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zu Menschenrechten. Lilia Antipow ist Autorin vieler Publikationen zum Thema und u.a. Kuratorin des sowjetischen Teils der Dauerausstellung Memorium Nürnberger Prozesse. Matthias Gemählich verantwortet Bildungsprojekte am Memorium Nürnberger Prozesse.

Otto Böhm / Rainer Huhle


„Die wahre Klägerin vor den Schranken dieses Gerichts ist die Zivilisation.“


Zur Eröffnungsrede des amerikanischen Hauptanklägers Robert H.Jackson

Robert Houghwout Jackson ist mit Abstand der meistzitierte und am besten erinnerte Protagonist des Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozesses (International Military Tribunal – IMT). Im historischen Gedächtnis des Prozesses istJackson die prägende Figur, sein Gesicht ist das der Anklage, ja überhaupt der Idee dieses Strafgerichtshofes.1 Er war der entschiedenste Verfechter eines internationalen Tribunals gegen die Hauptverantwortlichen der NS-Verbrechen und der wesentliche Organisator des Verfahrens. Er war Chef des amerikanischen Office of the Chief of Counsel for the Prosecution of Axis Criminality (OCCPAC) und ab 1945 amerikanischer Delegationsleiter, als die vier Mächte in London das Gerichtsstatut, die Anklagepunkte und die Verfahrensweisen des IMT ausarbeiteten. Der Bedeutung seiner Mission war sichJackson stets bewusst.2 Hartnäckig und zielbewusst setzte er seine Positionen auf der Londoner Konferenz durch. Das am 8. August 1945 verabschiedete Statut war auch ein persönlicher Triumph für ihn und seine Konzeption der Bestrafung der NS-Verbrecher: Wie seit 1941 vonChurchill undRoosevelt angekündigt, war eines ihrer Kriegsziele die „Bestrafung von Kriegsverbrechen“, durchzuführen durch die „Vereinten Nationen“,3 also die Alliierten. In Jacksons und seiner Verbündeten Vorstellung sollte dies in Gestalt eines förmlichen Gerichtsverfahrens gegen die Hauptkriegsverbrecher geschehen. Dies war in der US-Regierung nicht unumstritten.

Im Januar 1945 hatten sich Kriegsminister HenryStimson und Justizminister FrancisBiddle (der später der amerikanische Richter am IMT wurde) mit PräsidentRoosevelt und dessen Rechtsberater SamuelRosenman darauf geeinigt, dass vor einem ordentlichen Gericht Anklage erhoben werden sollte. Damit hatte sich diese Position in derRoosevelt-Regierung endgültig gegen die Fraktion von Finanzminister HenryMorgenthau durchgesetzt, der nicht nur Deutschland zu einem Agrarland machen, sondern auch ausgewählte NS-Täter („Erzkriminelle, deren offensichtliche Schuld allgemein anerkannt ist“) nach ihrer Identifizierung ohne Gerichtsverfahren erschießen lassen wollte.4

Zu den Unterstützern einer rechtsförmigen Bestrafung zählte auch der Stellvertreter des Verteidigungsministers, John J.McCloy, später Präsident der Weltbank (1947–1949) und anschließend Alliierter Hochkommissar für Deutschland (1949–1952). Nachdem sich während der Konferenz von Jalta im Februar 1945 die drei Hauptalliierten auf ein Internationales Militärtribunal geeinigt hatten, fuhr Roosevelts Berater SamuelRosenman zu weiteren Planungen zur Gründungskonferenz der UNO nach San Francisco. Dort konnte er im Mai den AußenministernEden, Molotow undBidault ein erstes Konzept vorlegen, dessen Fassung im Wesentlichen von RobertJackson stammte.5 Am 2. Mai wurdeJackson dann von Präsident HarryTruman (Roosevelt war überraschend am 12. April gestorben) zum Hauptankläger und verantwortlichen Organisator der Vereinigten Staaten für das Militärtribunal ernannt. Am 22. Mai flog er, begleitet von Colonel JohnAmen, zu ersten Gesprächen nach London, im Juni begann er mit den konkreten Vorbereitungen für das International Military Tribunal (IMT).

Country Lawyer, New Deal Lawyer, General Attorney


Wer war derMann, der da nach Europa kam und als “America’s advocate”6 das Bild der USA in Nürnberg so stark prägen sollte wie kein anderer? Seine Herkunft aus dem hart-arbeitenden, ländlichen Milieu Pennsylvanias mit Farmern, Friedensrichtern und Lehrern in der Verwandtschaft prädestinierte ihn nicht unbedingt zu einer Karriere in der Bundespolitik. Er selbst schreibt seine Entwicklung und seinen Aufstieg dem Einfluss seiner Lehrer und Lehrerinnen an der High-School in Jamestown/New York zu, die so viele Interessen in ihm geweckt hätten.7 Als politische Heimat betont er seine Herkunft aus einer Tradition von „kompromisslosen Demokraten“ in ein