Familie anders denken
Warum Freiheit im Kopf beginnt
Für eine gerade noch als jung geltende Frau Mitte, Ende dreißig mit beruflichen Ambitionen und hochfliegenden Plänen ist es heute nicht eben einfach, sich aus vollem Herzen für die Gründung einer Familie zu entscheiden. Da ist zum Beispiel die Trennungs- und Scheidungsstatistik, die einem keinen rechten Mut macht. Wer gründet schon gern eine Familie mit der Aussicht, sie nach einem, drei oder zehn Jahren wieder aufzulösen? Meine Freundinnen und Freunde1, egal ob alleinerziehend, als Patchwork- oder sogenannte intakte Familie lebend, kämpfen permanent um Zeit oder Geld, meist um beides. Alle kämpfen um Anerkennung – besonders, aber nicht nur die Frauen. Was die bezahlte Arbeit angeht, brachte eine hochschwangere Freundin das Dilemma kürzlich ebenso gut wie trocken auf den Punkt, als sie auf die Frage, wases denn werde, antwortete: »Ein Karriereknick für mich, drei Teilzeitjobs oder Altersarmut.« Denn für Mütter stehen bekanntlich nur die Labels Hausfrau, Teilzeit-Versorgerin oder Rabenmutter zur Wahl.
Egal, wofür sie sich entscheiden, (implizite) Vorwürfe und das permanent schlechte Gewissen gibt es ungefragt mit dazu, da hilft auch der feministischste Partner nicht viel. Eine Trennung wegen verloren gegangener Liebe oder anderer unüberbrückbarer Differenzen der Eltern bedeutet zwar meist nicht das Ende der Welt, oft aber den sozialen und finanziellen Abstieg – meist für beide Ex-Partner. Zur empfundenen Schmach über das Scheitern der Beziehung kommt die Sorge, die gemeinsamen Kinder im Zuge der Trennung bis an ihr Lebensende zu traumatisieren. Im grellen Licht der Realität betrachtet, wirken alle Optionen gleichermaßen ausweglos, beängstigend und trist, sodass ich stellvertretend für den Rest der Menschheit froh bin, dass sich überhaupt noch irgendwer darauf einlässt, eine Familie zu gründen. Dann wiederum herrscht ja zum Glück das Prinzip Hoffnung.
Zugleich droht den Kinderlosen vom Ende des Lebens her gesehen die Einsamkeit und die Reue über die verpasste Chance, einen kleinen Menschen auf eine bis dahin unbekannte Art zu lieben, das, was man gelernt hat und woran man glaubt, weiterzugeben und auf diese Weise vielleicht etwas in der Welt zu hinterlassen. Kinder werden von denen, die es wissen müssen, als eine Art Weltverstärker beschrieben, die höhere Höhen und tiefere Tiefen mit sich bringen. Für jemanden wie mich, die in allen Lebenslagen an Intensität interessiert ist, klingt das wie eine Verheißung.
Nun gibt es in der Frage »Ein Kind oder kein Kind?« keine Kompromisse, kein Mittelding und kein Rückgaberecht, sollte man feststellen, dass man seine Kinder zwar sehr liebt, das Leben, das sie mit sich bringen, aber leider hasst.
Bei Frauen kommt noch die Zeitkomponente hinzu: Während sich ein Mann theoretisch noch mit siebzig oder achtzig für leiblichen Nachwuchs entscheiden kann, ist für Frauen der Zug irgendwann schlichtweg abgefahren – auch wenn diese Grenze mit Hilfe der Reproduktionsmedizin beständig nach hinten verschoben wird.
Was also tun? Ist die Kleinfamilie aus zwei Erwachsenen und ein bis drei im selben Haushalt lebenden leiblichen Kindern2 der einzige Weg? Wie soll das überhaupt gehen: ein Job, der Erfüllung und Anerkennung verschafft, eine Beziehung, die über Jahre und Jahrzehnte hinweg sowohl Leidenschaft als auch Geborgenheit bietet, und »als Krönung der Liebe« Kinder, die mit ihrem gemächlichen Rhythmus sowohl der immer unerbittlicher werdenden Taktung der Arbeitswelt als auch mit ihrem Bedürfnis nach Zuwendung einer Paarbeziehung entgegenstehen? Muss man sich für einen oder zwei Träume entscheiden: die große Liebe oder die erfolgreiche Karriere oder Kinder? Hieß es nicht eben noch, wir könnten alles haben?
Lebten im Jahr 1999 hierzulande noch 9,3 Millionen Familien, also Eltern-Kind-Gemeinschaften im g