1. Religionskritik und christliche Theologie
Die Religionskritik
„Die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik“, schreibt Karl Marx in seiner Schrift „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung“.[6] Der Mensch macht die Religion und nicht umgekehrt. Staat und Gesellschaft haben ein „verkehrtes Weltbewusstsein“ erschaffen, das ist die Religion. Sie ist „die allgemeine Theorie dieser Welt … , ihr allgemeiner Trost- und Rechtfertigungsgrund. Sie ist die phantastische Verwirklichung des menschlichen Wesens, weil das menschliche Wesen keine wahre Wirklichkeit besitzt. Der Kampf gegen die Religion ist also mittelbar der Kampf gegen jene Welt, deren geistiges Aroma die Religion ist … Die Aufhebung der Religion als desillusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seineswirklichen Glücks.“ Der Ansatz von Karl Marx gehört zur sogenannten „neuzeitlichen Religionskritik“, die im 19. Jahrhundert entstand und die Religion in Zusammenhang mit Geschichte und Gesellschaft stellte.[7]
In seinem Beitrag behauptet Marx, dass für Deutschland die Kritik der Religion im Wesentlichen beendet sei, wobei er an das Werk Ludwig Feuerbachs „Über das Wesen des Christentums“ dachte, der die besonderen Wahrheiten des Glaubens mit den allgemeinen Wahrheiten und Gesetzen der Vernunft konfrontierte.[8] Diese Behauptung erweist sich als unzutreffend und war voreilig. Bei näherer Betrachtung stellt man fest, dass sich die „neuzeitliche Religionskritik“ hauptsächlich mit dem Christentum befasste, sie war eine Christentumskritik. In der Tat beobachten wir heute eine unaufhaltsame Säkularisierung in der deutschen wie auch in anderen westeuropäischen Gesellschaften. Die Privatisierung der Religion und die Abkoppelung von der Politik und dem öffentlichen Leben haben sich, wie Marx vorausgesehen hat,[9] im Westen überall durchgesetzt. Gleichzeitig aber wächst durch die Migration eine andere Religion, der Islam, unter dessen Mitgliedern die Religiosität weitverbreitet ist und dessen besondere Glaubenswahrheit keine Form der Religionskritik verkraftet. Die trotzdem von manchen Muslimen geübte Religionskritik in der Form der Islamkritik wird von der Mehrheit der Muslime bekämpft. Merkwürdigerweise wird diese Mehrheit auch von säkularen Europäern unterstützt, die den Bezug zur eigenen Geschichte und Kultur verloren haben und nicht mehr realisieren, wie sehr sie ihre Freiheit der Religionskritik verdanken.
Die neuzeitliche Religionskritik wird von der deutschen, französischen und englischen Aufklärung abgeleitet. Sie war von Fortschritts- und Wissenschaftsgläubigkeit geprägt und atheistisch orientiert.[10] Der Philosoph Herbert Schnädelbach schreibt: „Aufklärung ist Religionskritik.“[11] Sie verwirklicht sich in dem „Kampf mit dem Aberglauben“, wie Georg Friedrich Wilhelm Hegel in der „Phänomenologie des Geistes“ schreibt; eine Auffassung, die von vielen anderen Autoren geteilt wird. Max We