: Georges Simenon
: Antoine und Julie Die großen Romane
: Atlantik Verlag
: 9783455011432
: Die großen Romane
: 1
: CHF 8.90
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 240
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
ZEIT FÜR MICH - ZEIT FÜR SIMENON Die Liebe von Antoine und Julie war nie ungestüm, sie hat sich langsam und geduldig eingestellt. Die anfängliche Zweckgemeinschaft zwischen dem Vorstadt-Zauberkünstler und der Tochter aus vornehmem Hause wird zu einem funktionierenden Gespann. Doch als mit den Jahren seine Auftritte an Glanz verlieren, sucht Antoine Geborgenheit in den Kneipen und im Glas und wird immer unberechenbarer. Während er seine Trunksucht nicht wahrhaben will, gerät das gemeinsame Glück und die Welt der zurückhaltenden Julie zunehmend ins Wanken. Bandnummer: 77

Georges Simenon, geboren am 13. Februar 1903 im belgischen Lüttich, gestorben am 4. September 1989 in Lausanne, gilt als der »meistgelesene, meistübersetzte, meistverfilmte, in einem Wort: der erfolgreichste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts« (Die Zeit). Seine erstaunliche literarische Produktivität (75 Maigret-Romane, 117 weitere Romane und mehr als 150 Erzählungen), viele Ortswechsel und unzählige Frauen bestimmten sein Leben. Rastlos bereiste er die Welt, immer auf der Suche nach dem, »was bei allen Menschen gleich ist«. Das macht seine Bücher bis heute so zeitlos.

Erster Teil


1


Diesmal machte es klick, als er, einfach so und ohne ersichtlichen Grund, die Nummer mit der magischen Uhr zwischen die Ringe des Fakirs und den wandernden Würfel einschob. Sie stand zwar nicht auf dem Programm, aber Antoine hatte auch an gewöhnlichen Abenden immer ein paar zusätzliche Kunststücke in Reserve, die er dann, je nach Reaktion des Publikums, früher oder später einstreuen konnte.

Bis dahin hatte alles gut geklappt. Er war schon einmal, vor elf oder zwölf Jahren – noch vor Julies Zeit –, in Bourg-la-Reine gewesen, aber der Festsaal war anders gewesen. Antoine hatte auch die Straße nicht wiedererkannt, so wenig wie das Viertel, in dem damals viel weniger Mietshäuser standen. Sein Auftritt war um Punkt neun. Um acht war er mit dem Bus angekommen, mit seinen beiden flachen Koffern, die seine Arbeitsgeräte und seinen Frack enthielten.

Seine Plakate hatte man links und rechts des Eingangs angeschlagen. In der Kälte und im Halbdunkel hatte er sie kaum gesehen. Er verwendete seit zwanzig Jahren dieselben Plakate. Vom Korridor aus hörte man Stimmengewirr in dem allzu großen Saal mit den billigen Klappstühlen und der kalten Beleuchtung.

Er erkannte inzwischen auch immer auf den ersten Blick das zuständige Komitee-Mitglied aus all den geschäftig herumeilenden Personen mit Armbinde heraus.

Man führte ihn hinter die Kulissen. In Wirklichkeit war die Bühne nur ein Podium, das man über eine Trittleiter erreichte, und dahinter war ein knapper Meter Raum zwischen der bemalten Leinwand und der Mauer.

»Es ist eng hier«, hatte sich der Mann entschuldigt. »Wenn Sie etwas brauchen, lassen Sie es mich bitte wissen. Der erste Teil beginnt gleich.«

Der Mann stand unter Druck. Alle Herren mit Armbinde liefen mit wichtigen Gesichtern hin und her und riefen sich quer durch den Saal Anweisungen zu. Die Zuschauer saßen unterdessen auf ihren Klappstühlen und warteten.

Eine gute Viertelstunde später hatte dann endlich jemand mit einem Hammer dreimal auf den Fußboden geschlagen, woraufhin jemand anderer auf dem Klavier einige Chansons klimperte, die in dem kahlen Saal unschön hallten.

»Meine Damen und Herren, liebe Freunde vom Förderverein, ich habe das Vergnügen, Ihnen heute Abend …«

Antoine brauchte seine Hose nicht zu wechseln, da er schon in einer schwarzen Hose von zu Hause gekommen war. Dafür befestigte er jetzt in aller Ruhe und mit präzisen Bewegungen seine steife Hemdbrust an seinem Hemd und nahm nur mit halbem Ohr wahr, was jenseits der bemalten Leinwand vor sich ging.

Wieder spielte das Klavier. Ein Bariton sang. Sorgfältig befestigte Antoine an seiner Weste, an seiner Hose und dann im Futter des Fracks die verschiedenen für seine Zauberkunststücke notwendigen Taschen – mit Bewegungen, die er nun schon jahrelang, an bis zu zweihundertfünfzig Abenden im Jahr, in immer derselben Reihenfolge fast automatisch ausführte.

Er baute seinen Tisch mit den Nickelbeinen auf und breitete die mit einem A aus Goldfaden geschmückte rote Samtdecke darauf aus.

Als der Bariton sein Lied beendet hatte, streckte das Mitglied des Komitees den Kopf durch den Vorhang.

»Brauchen Sie noch etwas