: Joyce Carol Oates
: Blond
: Ecco Verlag
: 9783753050041
: 1
: CHF 11.70
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 1024
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Ein eindrucksvolles Porträt der größten Hollywood-Legende des zwanzigsten Jahrhunderts: Marilyn Monroe
1926 wird Norma Jeane Baker in Los Angeles geboren. Ihre Kindheit ist von Einsamkeit und Sehnsucht geprägt. Als junge Frau hat sie bereits verinnerlicht, dass es für sie nur einen Weg gibt, sich ihres Selbstwertes zu versichern: über das Begehren der Männer. Ab da beginnt die Verwandlung zur Kunstfigur Marilyn Monroe. Einfühlsam und sprachgewaltig erzählt Joyce Carol Oates in ihrem Roman von der größten Hollywood-Legende des zwanzigsten Jahrhunderts, von ihrem Schmerz, ihrer Strahlkraft, ihren Träumen und ihrem tragischen Ende.

»?Blond? ist ein moderner Klassiker.«Belletristik-co ch.de, 30.03.2021

»Absolut packend und ehrlich.« Martina Sievers,Für Sie, 12.05.2021

'Ein erzählerisch wildester Ritt.' Thea Dorn,Das literarische Quartett ZDF, 14.05.2021

'Ein ganz beeindruckendes Werk, wie ein Punkkonzert. ' Eva Menasse,Das literarische Quartett ZDF, 14.05.2021

'Brutal, entlarvend.' Eva Menasse,Das literarische Quartett ZDF, 14.05.2021

» [...] historisch wie aktuell bestürzende[s] wahrhaftige[s] Buch«Wolfgang Schütz,Augsburger Allgemeine, 01.06.2021



<p>Joyce Carol Oates wurde 1938 in Lockport, New York, geboren. Sie zählt zu den bedeutendsten amerikanischen Autorinnen der Gegenwart. Für ihre zahlreichen Romane und Erzählungen wurde sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem National Book Award. 2019 erhielt sie den Jerusalem Prize. Joyce Carol Oates lebt in Princeton, New Jersey, wo sie Literatur unterrichtet.</p>

Das Bad

Ob wir es mit einem geborenen Schauspieler zu tun haben, zeigt sich bereits in frühester Kindheit, denn in diesem zarten Alter wird die Welt noch als geheimnisvoll, als Mysterium erfahren. Und alle Schauspielkunst entspringt der Fähigkeit, angesichts des Geheimnisvollen zu improvisieren.

T. Navarro

Das Paradoxon der Schauspielkunst

1

»Siehst du? Der Mann dort ist dein Vater.«

Es kam der Tag, Norma Jeanes sechster Geburtstag, der erste Tag des Juni1932, ein verzauberter Morgen in Venice Beach, Kalifornien: gleißend grellweiß außer Atem. Eine frische, kühlende Brise wehte vom Pazifischen Ozean her, prickelnd und von nur einem Hauch soliger Fäule und dem üblichen Geruch nach Strandgut begleitet. Und dieser selbe Wind, so schien es, trug Mutter herbei. Hohlwangige Mutter mit den sattroten Lippen und den gezupften, nachgezogenen Brauen, die Norma Jeane aus dem großelterlichen Apartment, dem heruntergekommenen Wohnblock mit dem verwitterten Putz am Venice Boulevard, holen kam – »Norma Jeane, komm!«. Und was lief Norma Jeane, lief zu Mutter! Das kleine Patschhändchen in Mutters schmaler Hand, so wunderbar fremd vom schwarzen Tüllhandschuh umschlossen. Denn Grandma hatte raue Altfrauenhände, und Grandmas Geruch war ein Altfrauengeruch, während Mutter so gut roch, dass einen schwindelte, wie prickelnde zuckrige Zitrone auf der Zunge. »Norma Jeane, Herzchen,komm.« Mutter war »Gladys«, und »Gladys« war diewahre Mutter des Kindes. Wenn ihr danach war. Wenn sie die Kraft hatte. Wenn es die Anforderungen der Produktionsgesellschaft erlaubten. Denn Gladys’ Leben spielte in »drei Dimensionen an der Schwelle zur vierten«, es war eben nicht mit anderer Leute Leben zu vergleichen, nicht »flach wie ein Parcheesi-Brett«. Grandma Dellas aufgeplusterte Missbilligung strafte Mutter mit Verachtung, im Triumph entführte sie Norma Jeane aus dem nach Zwiebeln, Seifenlauge, Hühneraugentinktur und Grandpas Pfeifentabak riechenden Apartment im dritten Stock, überging schlicht die vor Entrüstung schrille Stimme der alten Frau, eine Radiokomikerstimme – »Gladys, wo hast du diesmal wieder den Wagen her! Sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede, Mädchen: Hast du Drogen genommen? Odergetrunken?« – »Wann bringst du mir meine Enkelin wieder?« – »Verdammt, warte doch, bis ich die Schuhe anhabe, ich komme mit runter!Gladys!« Doch ungerührt trillerte Mutter in glockenhellem Sopran: »Qué será, será.« Und schon flogen Mutter und Tochter gackernd wie ungezogene Ausreißer die Treppe hinunter, als wäre diese ein Berghang, außer Atem und Hand in Hand, hinaus, hinaus! auf den Venice Boulevard und geradewegs hin zum jedes Mal aufregenden, weil nie vorhersehbaren Gladys-Wagen; da wartete er am Randstein: an diesem grell gleißenden Morgen des ersten Juni1932 stand Norma Jeane andächtig vor einem buckligen Nash in der Farbe von dreckigem Spülwasser, dessen Beifahrerfenster wie ein Spinnennetz gesplittert und mit Klebeband geflickt war. Aber was für ein herrlicher Wagen, und wie jung und wie munter Gladys doch war, denn sie, die Norma Jeane selten berührte, hob das Kind nun mit beiden behandschuhten Händen auf den Beifahrersitz – »Hoppla, Herzchen!« –, so, als hebe sie es in die Gondel des Riesenrads am Santa Monica Pier, damit es mit vor Staunen aufgerissenen Augen in den Himmel entschwebte. Schlug die Autotür fest zu. Vergewisserte sich, dass sie geschlossen war. (Denn es gab eine alte Angst der Mutter um die Tochter, davor, dass bei solchen Flucht