Kapitel 1
ALS ICH VON Tante Dimitys Tod hörte, war ich fassungslos. Nicht weil sie tot war, sondern weil ich bis dahin nicht wusste, dass es sie gegeben hatte.
Vielleicht sollte ich das erklären.
Als ich ein kleines Mädchen war, erzählte meine Mutter mir gern Geschichten. Sie deckte mich zu, nahm Reginald auf den Schoß und erzählte eine Geschichte nach der anderen, bis mir die Augen zufielen und ich eingeschlafen war. Dann legte sie Reginald neben mich und deckte ihn ebenfalls zu, sodass sein Gesicht das Erste war, was ich morgens beim Aufwachen sah.
Reginald war mein Kuschelhase. Früher hatte er einmal zwei Knopfaugen gehabt, und sein Fell war aus rosa Flanell gewesen, aber in meinen Diensten war er erblindet und grau geworden, bis auf den lila Fleck neben seinem aufgestickten Schnurrbart, der daran erinnerte, dass er einmal meinen Traubensaft probieren durfte. (Er mochte ihn nicht.) Reginald war ungefähr zwanzig Zentimeter groß, und soviel ich wusste, war er am selben Tag wie ich auf die Welt gekommen, denn er war schon immer an meiner Seite gewesen. Reginald war mein Vertrauter und der Kamerad meiner Abenteuer – es war sein Verdienst, dass ich mir nie wie ein Einzelkind vorgekommen war.
Auch meine Mutter fand Reginald recht praktisch. Sie unterrichtete die dritte und vierte Klasse an einer Grundschule im Nordwesten von Chicago, wo wir damals wohnten, und wusste, wie nützlich Hilfsmittel manchmal sein konnten. Wenn ich, die Weltmeisterin im Trampolinspringen, zur Schlafenszeit einfach nicht zur Ruhe kommen wollte, wandte sie sich einfach an Reginald auf ihrem Schoß. »Also, wenn Lori nicht zuhören will, dann erzähle ich dir eben die Geschichte, Reginald.« Nie verfehlte diese Bemerkung ihre Wirkung.
Meine Mutter wusste, dass ich Geschichten über alles liebte. Sie las mir die üblichen Kindergeschichten vor:Wie der Elefant seinen Rüssel bekam, Pu der Bär, Grimms Märchen und all die anderen klassischen Kinderbücher. Aber meine Lieblingsgeschichten (ebenso wie die von Reginald) waren diejenigen, die sie nicht vorlas, sondern mit ihrer Stimme, mit ihren Händen und ihren Augen erzählte.
Das waren die Geschichten von Tante Dimity. Sie waren die besten; sie erzählte sie, wenn sie mir eine besondere Freude machen wollte, und speziell an jenen Abenden, wenn sie mich auch durch intensives Rückenstreicheln nicht zum Einschlafen bringen konnte. Ich muss ein schrecklich ruheloses Kind gewesen sein, denn es gab unzählige Tante-Dimity-Geschichten:Tante Dimitys Cottage, Tante Dimity und ihr Garten, Tante Dimity kauft eine Taschenlampe. Besonders diese letzte Geschichte liebte ich über alles.
Wie schon die Titel vermuten ließen, waren Tante Dimitys Abenteuer weder großartig noch gefährlich. Sie alle spielten in einem unbekannten Zauberland, wo gewöhnliche Dinge mitunter andere Namen hatten als bei uns und wo Tee eine Art Allheilmittel zu sein schien. Die Geschichten selbst waren jedoch eher alltäglich. Tante Dimity war die normalste Heldin, die mi