: Heiko Kleve, Steffen Roth, Fritz B. Simon
: Lockdown: Das Anhalten der Welt Debatte zur Domestizierung von Wirtschaft, Politik und Gesundheit
: Carl-Auer Verlag
: 9783849782566
: 1
: CHF 17.20
:
: Sozialwissenschaften allgemein
: German
: 208
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Diesem richtungweisenden Buch prophezeit Bernhard Pörksen eine 'theoriegeschichtliche Brisanz'. 'Hier wird tatsächlich diskutiert, hart in der Sache gerungen, polemisiert und dann wieder mit einer Leichtigkeit und einer stilistischen Eleganz nuanciert und differenziert, die mir Bewunderung abnötigt. (...) Streit bietet eine Erkenntnischance eigenen Rechts - das ist die Einsicht, die für mich aus der Lektüre dieses Buches und dem Disput in all seinen ­Facetten folgt.' Die Debatte über die Pandemie und die gewaltigen Folgen für Individuen und Gesellschaften ist in den Medien in vollem Gange. Man sollte sie aber nicht dem medialen Alltagsgeschäft überlassen. Carl-Auer macht die systemische Debatte wirklich explizit. So kann sie schärfer beobachtet und wesentlich fruchtbarer werden. Heiko Kleve, Initiator des Projektes, konnte Steffen Roth und Fritz B. Simon gewinnen, sich auf eine Weise miteinander zu streiten, dass der von Bernhard Pörksen dankbar registrierte Effekt eintritt. Die Ausgangsfrage nach dem Verhältnis von Politik und Wirtschaft in pandemischen Zeiten führt unweigerlich auch zu Fragen von Moral und Amoral, von Intervention oder Laissez-Faire und zum Verhältnis von theoretischer Ausrichtung und praktischer (Nicht-)Einmischung. Prominente Gäste aus Wirtschaft, Sozialwissenschaft, Organisationsberatung, Kunst und Ökologischer Forschung rufen provozierend dazwischen und bringen die Debatte in weitere relevante Kontexte.

Heiko Kleve, Univ.-Prof., Dr. phil.; Sozialpädagoge und Soziologe sowie Systemischer Berater (DGSF), Supervisor/Coach (DGSv), Systemischer und Lehrender Supervisor (SG), Case-Manager (DGCC) und Konflikt-Mediator (ASFH); Inhaber des Stiftungslehrstuhls für Organisation und Entwicklung von Unternehmerfamilien am WIFU - Wittener Institut für Familienunternehmen, Wirtschaftsfakultät, Universität Witten/Herdecke. Autor zahlreicher Bücher und einschlägiger Fachbeiträge zur systemisch-konstruktivistisch n, systemtheoretischen und postmodernen Theorie und Praxis in den Sozialwissenschaften. Steffen Roth, Prof. Dr. Dr. habil., Dipl.-Soz.; Full Professor für Management an der La Rochelle Business School, Frankreich, und Adjunct Professor für Wirtschaftssoziologie an der Universität Turku, Finnland, Research Professor für Digitale Soziologie, Kazimieras Simonavi?ius University in Vilnius, Lithuania. Zahlreiche Veröffentlichungen in einschlägigen Fachzeitschriften. Fritz B. Simon, Dr. med., Professor für Führung und Organisation am Institut für Familienunternehmen der Universität Witten/Herdecke; Systemischer Organisationsberater, Psychiater, Psychoanalytiker und systemischer Familientherapeut; Mitbegründer der Simon, Weber and Friends, Systemische Organisationsberatung GmbH. Autor bzw. Herausgeber von ca. 300 wissenschaftlichen Fachartikeln und 32 Büchern, die in 15 Sprachen übersetzt sind, u. a.: 'Einführung in die systemische Wirtschaftstheorie' (2009), 'Formen. Zur Kopplung von Organismus, Psyche und sozialen Systemen' (2018) und 'Anleitung zum Populismus oder: Ergreifen Sie die Macht!' (2019). Bernhard Pörksen, Dr., Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen; Herausgeber der Reihe Systemische Horizonte im Carl-Auer Verlag. Er erforscht die Macht der öffentlichen Empörung und die Zukunft der Reputation und veröffentlicht - neben wissenschaftlichen Aufsätzen - Essays und Kommentare in vielen Zeitungen. Im Jahre 2008 wurde Bernhard Pörksen zum 'Professor des Jahres' gewählt. Veröffentlichungen u. a.: 'Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. Gespräche für Skeptiker' (zus. mit Heinz von Foerster, 12. Aufl. 2019), 'Kommunikation als Lebenskunst. Philosphie und Praxis des Miteinander-Redens', zus. mit Friedemann Schulz von Thun, 2. Aufl. 2016), 'Vom Sein zum Tun. Die Ursprünge der Biologie des Erkennens' (zus. mit Humberto Maturana, 4. Aufl. 2018), 'Die Beobachtung des Beobachters. Eine Erkenntnistheorie der Journalistik' (2015).

»Pakt für Nachhaltigkeit«: Grüne fordern Milliarden für die Wirtschaft

ntv, 2. Mai 2020

BDI: Wirtschaftsverbände fordern Ende der Corona-Beschränkungen

ZEIT ONLINE, 2. Mai 2020

Wirtschaft fordert einen klaren Exit-Fahrplan von der Regierung

Handelsblatt, 4. Mai 2020

As Trump Pushes to Reopen, Government Sees Virus Toll Nearly Doubling

New York Times, 5. Mai 2020

Hope and Worry Mingle as Countries Relax Coronavirus Lockdowns

New York Times, 5. Mai 2020

4Vom Für und Wider der Politisierung bzw. Ökonomisierung zur Staatskritik


von Heiko Kleve

5. Mai 2020

Beide Kontrahenten, Fritz B. Simon und Steffen Roth, haben sich in ihren Positionen ausdifferenziert. Sie kommen nicht zusammen, sie bleiben ihren Perspektiven treu. Leider haben sie bisher meine angemahnte Konkretisierungsforderung nicht aufgegriffen, wie denn nun etwa Organisationen, die selbst nicht der klassischen Realwirtschaft zugeordnet werden können, finanziert werden sollten. Vielleicht können wir im weiteren Diskurs dazu Beispiele sammeln, um von der gesellschaftstheoretischen auf die alltagspraktische Ebene überzuwechseln.

Zunächst bleibt festzuhalten: Während Simon die Politik als Schiedsrichter im gesellschaftlichen Spiel der Funktionssysteme versteht, kontert Roth, dass diese Systeme keinem gemeinsamen Spiel folgen, sondern ihren je eigenen Regeln gehorchen. Daher kann es keine politische Metastrategie geben, die interesselos, neutral oder allparteilich im »Kampf« der Partialinteressen für Ausgleich sorgt. Denn der Staat als »Selbstbeschreibung der Politik« oder als politische Organisation ist selbst interessengeladen unterwegs. Es geht ihm um Macht, um die Monopolisierung der Gewalt, um die Durchsetzung kollektiv bindender Entscheidungen sowie um die Sanktion derjenigen, die diese nicht anerkennen.

Genau an dieser Stelle laden wir einen Protagonisten ein, der mit seinem Zwischenruf die interessengeladene Perspektive des Staates noch deutlicher markiert: Dr. Stefan Blankertz. Mit ihm greift ein Sozialwissenschaftler, Philosoph und Romancier in den Diskurs ein, dessen Perspektive als libertär bezeichnet werden kann. Der Libertarismus könnte wohl als eine Form der Dekonstruktion des Staates und seiner Legitimationsideologien bewertet werden. So erscheint es passend, dass Stefan Blankertz Gründer und Betreiber des Murray-Rothbard-Instituts für Ideologiekritik ist.

Hat die Wirtschaft die Politik übernommen?


von Stefan Blankertz

Jedes Handeln hat einen ökonomischen Aspekt, denn jedes Handeln nutzt Ressourcen (selbst das Denken verbraucht Zeit). So ist es keine Zumutung, staatliches Handeln unter ökonomischen Gesichtspunkten anzuschauen. Vielmehr gibt es gar keine Möglichkeit, über es nachzudenken, ohne dabei auch ökonomische Gesichtspunkte zu berühren. Die Ökonomie des Staats unterliegt aufgrund seines Gewaltcharakters Besonderheiten. Der Staat erhält die Ressourcen nicht wie jede andere gesellschaftliche Organisation im direkten und freien Austausch. Vielmehr enteignet er die produktiv Tätigen (Einzelpersonen, Firmen usw.) und nutzt die so gewonnenen Ressourcen. Einerseits nutzt er sie zur eigenen Erhaltung. In entwickelten Staaten geht ein Großteil der Ressourcen andererseits an ausgewählte gesellschaftliche Organisationen (zum Beispiel Firmen), die ihm das im Gegenzug mit Loyalität danken.

Steffen Roth formuliert treffend, dass der »Staat seine Marktmacht ausspielt, um neben Soldaten und Polizisten auch Lehrer, Wissenschaftler, Richter, Priester und Theaterdirektoren mit Geld politisch auf Kurs zu bringen«. Diese so privilegierten gesellschaftlichen Organisationen stehen dem Staat zwar unisono loyal gegenüber, aber untereinander konkurrieren sie heftig um ihren Anteil an den Ressourcen. Aus den gesellschaftlichen Organisationen werden Interessengruppen, die sich nicht mehr nur durch das Bestreben erhalten, den Handlungspartnern (zum Beispiel Kunden) das von diesen Gewünschte zu liefern, vielmehr darüber hinaus Zugang zu öffentlichen Mitteln haben und sich ein Stück weit entfernen können von der Zustimmung der sie konstituierenden Personen. Das Gerangel der Interessengruppen ist das, was man landläufig als »Politik« bezeichnet.

Durch das Gerangel der Interessengruppen gerät die Politik an zwei heikle Punkte. Zum einen hat die Enteignung der Produktiven eine (negative) Wirkung auf die Produktivität. Der Grad an Enteignung kann nicht unbegrenzt gesteigert werden, um allen Forderungen der Interessengruppen nachzukommen. Zum anderen ist das ökonomische Abwägen, welchen Forderungen nachzukommen sei, mit schweren Verlusten an Legitimation dort verbu