1. KAPITEL
Maison de Minuit. Haus der Mitternacht.
Allein der Name klang unheilvoll, aber diese finstere Plantagenbesitzervilla in Louisiana symbolisierte den ersten ernsthaften Schritt, den Selene Albright Winston Richtung Freiheit machte.
Selene nahm all ihren Mut zusammen und stieg aus ihrem Wagen. Dann ging sie mit einem mulmigen Gefühl über den gepflasterten Weg zum Eingang der Veranda. Nicht ein Windhauch regte sich in den Bäumen, und nur das gelegentliche Zirpen einer Zikade unterbrach die gespenstische Stille. Uralte knorrige Eichen, die über und über mit Spanischem Moos behangen waren, wirkten wie finstere Wachposten, die Eindringlinge abwehren sollten. Die Rasenflächen waren ungemäht, und in den mit Unkraut überwucherten Beeten blühten keinerlei Blumen.
Ein paar Schritte vor der Veranda blieb Selene stehen, um das Haus zu betrachten, das ebenfalls vernachlässigt wirkte. Die neoklassizistische hellgelbe Fassade des Herrenhauses zeigte deutliche Anzeichen von Verfall, genau wie die Fensterläden, die Holzornamente und die sechs imposanten Säulen, die den Vorbau trugen und seltsamerweise schwarz gestrichen waren. Selene beschlich beim Anblick des düsteren Hauses ein unangenehmes Gefühl und hoffte, dass das Innere des Hauses in einem besseren Zustand war. Tatsächlich hätte sie am liebsten kehrtgemacht und wäre weggelaufen. Nein, diesmal würde sie nicht den einfachen und sicheren Weg gehen.
Als sie die erste Stufe der Holztreppe zum Eingang betrat, knarrte sie, als würde sie gleich zusammenbrechen. Doch ein plötzliches Bild vor ihrem geistigen Auge war sehr viel beängstigender.
Augen. Eisblaue Augen. Augen, die sie fixierten.
Selene schloss ihre eigenen Augen, damit die Vision verschwand. Aber als sie die zweite Stufe betrat, ergriff die Vision erneut von ihr Besitz. Ihr stockte der Atem, und sie verlor all ihre Zuversicht. Doch sie kämpfte dagegen an. Nachdem sie jahrelang alles versucht hatte, sich von dieser Gabe zu befreien, wollte sie so etwas nie wieder in ihr Leben lassen.
Sie atmete tief durch und